Kürzlich hatte ich einen Vortrag im Rahmen eines Elternbildungstages. Dabei waren auffallend viele Väter mit ihren Kleinkindern anwesend. Sie kümmerten sich ganz selbstverständlich um ihren Nachwuchs, so dass offensichtlich wurde: Diese Männer sind nicht nur Sonntagsväter. Das hat mir gefallen.

Was mich zunächst beeindruckt, dann jedoch zunehmend irritiert hat, war das Wissen dieser Väter über Kindererziehung, sprich, über das, was offenbar gerade in den neusten Erziehungsratgebern steht und ‚in‘ ist. Über die vielen Erziehungs-, Einschlaf- und Durchschlaf-, Anti-Schreimethoden etc. wussten diese Väter insgesamt viel mehr als ich. Auf der Heimreise habe ich mich dann gefragt: Wieso sind eigentlich Erziehungsratgeber dermassen beliebt? Wieso verlassen sich heutige Eltern so sehr auf sie?

Zunächst gibt es eine gewisse Ironie: Noch nie hat es ein so riesiges Angebot an Ratgebern gegeben, die es sogar auf die vorderen Plätze der Bestseller-Liste schaffen. Noch nie haben wir so viel über Kinder, Kindheit und Familie gewusst als heute. Aber auch noch nie zuvor haben Kinder offenbar so viele Probleme gehabt (oder gemacht) wie heute. Trotz der Flut an Ratgebern ist in den letzten Jahren jedoch keine neue Erziehungssicherheit entstanden, sondern eher das Gegenteil, nämlich eine verstärkte Unsicherheit. Wo liegt das Problem?

Es liegt in erster Linie darin, dass Eltern solche Ratgeber verschlingen – häufig einen nach dem anderen – weil sie von der Angst getrieben sind, etwas falsch zu machen und ihrer Aufgabe vielleicht nicht mehr gewachsen sein könnten. Darüber hinaus konsultieren sie Logopädinnen, Ergotherapeuten und Psychologen, in der Hoffnung, es gäbe ein Geheimrezept, welches die Probleme mit dem Kind aus der Welt schaffen könnte.

Selbstverständlich gibt es nichts gegen gute Ratgeber und Fachleute einzuwenden. Sie behandeln kindliche und familiäre Alltagsfragen zur Sauberkeitserziehung, zu Ess-, Schlaf- und Reinlichkeitsgewohnheiten, zu Entwicklungsstörungen, zum ersten Schultag oder zum Umgang mit Kindern in der Pubertät. Auf diese Weise werden Ratgeber und Experten zu Hilfserziehern, weil sie Eltern auch entlasten können, grosse und kleine Alltagsereignisse erzieherisch zu bewältigen.

Problematisch an vielen Erziehungsratgebern ist aber, dass sie sich als Verheissung anbieten und den Eltern die Erziehung aus der Hand nehmen oder – und dies ist noch schwerwiegender – ihnen das Vertrauen in die eigene Fähigkeit rauben, die Kinder in einer richtigen Weise erziehen zu können. Verstärkt wird diese Wirkung dadurch, dass viele Ratgeber einen sehr mahnenden, sorgenden Tonfall haben und sich zudem häufig mit dem Etikett «von pädagogischen Fachleuten empfohlen», «pädagogisch erprobt» oder «wissenschaftlich getestet» schmücken. Auf diese Weise vermitteln sie den Eltern: «Wir verstehen von Erziehung viel mehr als Sie.»

Erziehungsratgeber treten nicht selten an die Stelle des gesunden Menschenverstandes von Müttern und Vätern. Damit laufen sie jedoch Gefahr, ihre vielleicht wichtigste Erziehungskompetenz zu verlieren: die Intuition. Gemeint ist damit das ‚gefühlte Wissen’, das man häufig gar nicht erklären kann. Eltern hätten viel intuitives Wissen, aber es ist heute oft verschüttet.

Konsultiert man Internetforen oder Briefkästen, so ist es immer wieder erstaunlich, wie viele Eltern einfach eine Beratung wollen, um zu wissen, was sie konkret in einer bestimmten Situation machen sollen. Welches wäre meine Antwort?

 

Literatur

Hodgkinson, T. (2009). Leitfaden für faule Eltern. Berlin: Rogner & Bernhard.