Von Margrit Stamm auf Sonntag, 29. Juni 2014
Kategorie: Blog

«Mein Sohn ist mein bester Freund»: Gut gemeint, aber leider falsch

«Mein Sohn Damian ist mein bester Freund.» Dies war die Antwort von Sylvie Meis (ehemals van der Vaart) in der deutschen BILD-Zeitung auf die Frage, was ihr denn in der schweren Zeit nach der Trennung von ihrem Ehemann, dem Profi-Fussballer Rafael van der Vaart, Kraft gäbe. Sylvie Meis hat damit vielen aus dem Herzen gesprochen: Partner kommen und gehen, das jedoch Kind bleibt. Deshalb setzen viele Eltern auf eine partnerschaftliche Erziehung.  

Ist dies nicht eine optimale Errungenschaft unserer modernen Gesellschaft? Ausdruck dessen, dass es unseren Kindern besser denn je geht und dass sie nicht mehr unterdrückt werden? Tatsächlich mangelt es vielen von ihnen an kaum etwas: Kinder haben Rechte und gelten als selbstbestimmte Persönlichkeiten. Sie werden geliebt und Tag und Nacht von umsichtigen Vätern und Müttern umsorgt. Kinder entscheiden mit, sei es in der Familie, in der Schule oder in der Freizeit.

In der Tat sind das Aspekte einer positiven pädagogischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Keiner von uns möchte zur so genannten «schwarzen Pädagogik» zurück. Zum Beispiel zum Struwwelpeter, mit dem uns unsere Eltern drohten oder zum Teppichklopfer als Mahnmal elterlicher Autorität. Doch der Trend zum partnerschaftlichen Erziehungsstil ist trotzdem aus mindestens zwei Gründen hoch problematisch

Das partnerschaftliche Erziehungsmodell ist deshalb das ungeeignetste Mittel überhaupt. Eltern, die ihrem Kind ab Geburt Autonomie und unbegrenzte Selbstverwirklichung zugestehen, die es schon mit drei Jahren selbst entscheiden lassen, was gut für es ist und die sogar Erwachsenenthemen (oder Partnerprobleme) mit ihm besprechen, identifizieren sich zu stark mit ihm. Erziehung verlangt Distanz und bewusste Abgrenzung. Dies hat nichts mit autoritärer Erziehung zu tun, sondern mit der Schaffung des notwendigen Fundaments, welches das Kind für eine gesunde psychische Entwicklung. Braucht.

Viele Eltern unterliegen dem Irrglauben, ihr Kind würde sich von selbst gut entwickeln, wenn es ihm materiell gut geht und es partnerschaftlich auf Augenhöhe erzogen werde. Leider ist diese Vorstellung falsch. Es braucht Eltern, die sich vom Kind abgrenzen und sich als Erziehende verstehen. Nur auf diese Weise können sie ihm zeigen, wie man emotionale, charakterliche, soziale, intellektuelle und lebenspraktische Kompetenzen erwirbt. Hierzu sind Regeln und Strukturen nötig, die den Kindern abverlangt und mit ihnen immer wieder eingeübt werden. Dazu gehören alltägliche Abläufe – etwa, dass und wie man sich alleine anziehen lernt, den Tisch abräumt, ein Bettritual einhält, den Schulsack packt. Dazu gehört aber auch, wie man lernt stillzusitzen, zuzuhören, zu warten, bis man etwas bekommt oder zu lernen, sich für etwas anzustrengen. Die psychischen Voraussetzungen für erfolgreiches schulisches Lernen, also eine adäquate Lernhaltung zu erwerben, müssen im Elternhaus eingeübt werden und nicht in der Kita, im Kindergarten oder gar in der Schule. Aber dies kann aber nicht durch einen partnerschaftlichen Erziehungsstil geschehen.

Selbstverständlich wollen die meisten Eltern das Beste für ihr Kind. Aber sie sind sich oft kaum bewusst, dass sie mit ihrem partnerschaftlichen Erziehungsstil ihr Kind wie einen kleinen König behandeln, um den sich die ganze Welt dreht. Logischerweise ist es für solche Kinder spätestens beim Kindergarteneintritt selbstverständlich, dass sie nicht nur die Familie, sondern auch die ganze Welt steuern können. Es verwundert somit kaum, wenn sie gegen alles rebellieren, dauernd schlecht gelaunt sind und nichts gut finden. In einer solchen Situation bringen auch Erklärungs- und Aushandlungsversuche der Eltern wenig. Die Psyche solcher Kinder ist in einem dauernden Überforderungszustand.

Partnerschaftliche Erziehung überfordert auch die Eltern: Denn immer mehr Energie aufbringen zu müssen und sich dabei förmlich zu zerreissen, um das Kind zufrieden zu sehen, sprengt die elterlichen Kapazitäten. Deshalb tendieren solche Eltern oft dazu, das Verhalten des Sprösslings als krank zu empfinden und nach entsprechenden Symptomen zu suchen. Dies erklärt sich unter anderem durch die auffallende Häufung von Störungen wie ADHS, Dyskalkulie oder Legasthenie. Ein Gang zum Experten dient dann als hilfreiche Bestätigung der bereits selbst gestellten Diagnose. Und wenn dieser Experte ihre Vorschläge nicht goutiert, wird er eben ausgewechselt – bis einer gefunden ist, der die eigene Vorstellung teilt.

Für partnerschaftlich erzogene Kinder setzt sich dieser Teufelskreis in der Schule fort: Beschwert sich die Lehrkraft beispielsweise über das unangepasste oder vorlaute Verhalten des Kindes, empfinden die Eltern diese Lehrkraft schnell einmal als reaktionär und reagieren mit einer Klage oder gar einem Rekurs bei der Schulleitung. Damit jedoch schaden sie sich selbst. Denn der einzige Weg, vom überfordernden partnerschaftlichen Erziehungsstil wegzukommen wäre, den Blick auf den eigenen Umgang mit ihm dem Kind zu richten und einzusehen, dass es kaum die partnerschaftlichen Erziehungsstrukturen sind, welche Ordnung bieten und den überfordernden Druck vom Kind nehmen.

Was könnte man tun, um den partnerschaftlichen Erziehungsstil zu überwinden? Sicher nicht, indem man Kinder einfach strenger erzieht oder wieder mehr Autorität einführt. Vielmehr sollten Eltern ein Bewusstsein entwickeln, sich anders zu verhalten: als eigenständige Erwachsene, die ihrem Kind zwar Herzenswärme und Liebe schenken, seine Autonomie in kleinen Schritten entwickeln helfen, insgesamt jedoch klare Regeln und Normen setzen und diese immer wieder mit ihm einüben.

Auf einer solchen Grundlage kann die Partnerschaftlichkeit gut etwas warten. Ab der Pubertät ist sie dann jedoch  sehr wichtig. Das zeigt: Auch Erziehung ist Entwicklung. Eltern müssen bereit werden, sich in ihrem Erziehungsstil zu verändern. Kleine Kinder brauchen eine andere Führung der Eltern als grössere Kinder.

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