Von Margrit Stamm auf Sonntag, 20. März 2022
Kategorie: Blog

Hände weg von meinem Sonnenschein. Weshalb manche Frau das familiäre Revier beherrscht

erschienen im Nebelspalter, 17.03.2022

Wann gelten Frauen als gute Mütter? Nur dann, wenn sie diese Aufgabe intensiv ausüben. Ob berufstätig oder nicht – ihre Identität ist an das Tun als Mutter gebunden. Schickt der Vater die Tochter am Morgen ungekämmt zur Schule, gilt dies nicht als seine Unterlassung, sondern als die der Mutter. Frauen versuchen deshalb unentwegt, den gesellschaftlichen Ansprüchen zu genügen und viele übernehmen wie selbstverständlich die innerfamiliäre Hauptverantwortung. Hat der Partner Papa-Tag, hinterlassen sie ihm To-Do-Listen, was er wann und wie erledigen soll – als ob er der Juniorpartner wäre.

Frauen, die an Männern herumnörgeln

Dieses Phänomen, in der Forschung «Maternal Gatekeeping» genannt, hat sich auch in unseren Studien gezeigt. Gemeint sind damit Frauen in der Rolle als Türsteherinnen. Entweder öffnen sie dem Partner die Türen, blockieren oder verschliessen sie. Etwa dreissig Prozent der Frauen praktizieren Gatekeeping regelmässig und etwa zwanzig Prozent zumindest ab und zu. Offenbar wünschen sich nicht alle Frauen den autonomen Einsatz des Partners. Zwar liegt ihnen viel an seiner Beteiligung, trotzdem nörgeln sie an ihm herum, wenn er sich nicht so mit dem Kind oder dem Haushalt beschäftigt, wie sie sich dies vorstellen. Wie kommt das?

Mit der Geburt des ersten Kindes wird der Mann oft zum Haupternährer, während die Frau die Berufsarbeit aufgibt oder zurückschraubt. Dadurch unterliegt das Familiensystem einer vorher nicht dagewesenen Asymmetrie. Manche Frauen verstärken die mütterlichen Aufgaben, werden zu Einzelkämpferinnen und brauchen das Kind zur Stabilisierung. Fünfzig Prozent sind überzeugt, dass die enge Bindung zwischen ihnen und dem Kind naturgegeben und stärker als die Vater-Kind-Bindung ist. Deshalb verstehen sie sich in Fragen zu Kindererziehung, Betreuung und Haushalt als alleinige Sachverständige. Doch dieses mütterliche Verhalten kann zur Folge haben, dass Männer die Motivation verlieren, sich immer mehr zurückziehen oder eine angelernte Hilflosigkeit entwickeln.

Glucken-Mütter und Türsteherinnen

Türsteher-Mütter sind nicht einfach übermässige Glucken, die sich besonders fürsorglich um die Kinder kümmern. Zwar behütet eine Glucke die Kinder im Übermass, lässt aber den Mann als ebenbürtigen Partner zu. Eine Türsteher-Mutter definiert sich vor allem in der Abgrenzung zu ihm. Sie bindet das Kind stark an sich und gibt dem Partner zu verstehen, dass er in Betreuung und Haushalt Einiges falsch macht. Er ist keine gleichberechtigte väterliche Figur, die eigene Standards aufstellen darf und die sie akzeptiert.

Doch auch Männer können zum Revierverhalten der Partnerin beitragen. Dies ist dann der Fall, wenn sie davon überzeugt sind, dass Frauen zwar die besten Erzieherinnen sind, ihre Berufstätigkeit aber nur vordergründig unterstützen und als selbstverständlich voraussetzen, dass sie die Hauptverantwortung für den familiären Part weiterhin übernimmt.

Den Blick auch auf das Wir lenken

Wie kommt man aus einer solchen Teufelsspirale heraus? Die wichtigste Voraussetzung ist die Bereitschaft beider Partner, sich selbst in Frage zu stellen. Man kann in einer Partnerschaft nichts ändern, wenn man nur den anderen ändern will. Männer müssen für ihr Engagement einstehen wollen, ohne die Partnerin lediglich als naturgegeben gute Mutter zu sehen und sich dahinter zu verstecken. Frauen müssen lernen abzugeben und ihre Einflusszonen herunterzufahren. Wenn beide den Blick nicht nur auf das Ich, sondern auch auf das Wir lenken, erfahren sie Entwicklung nicht mehr nur isoliert bei sich selbst. Das ist eine herausfordernde Aufgabe. 

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