Von Margrit Stamm auf Samstag, 14. September 2013
Kategorie: Blog

Nur erzogene Kinder erwünscht! Dürfen Restaurantbetreiber Kinder aussperren?

Kürzlich war ich beruflich in Berlin tätig. Eine Kollegin erzählte mir dabei, dass es immer mehr Restaurants gäbe, welche Kinder aussperren würden. Zwar ist mir diese Tatsache bereits aus anderen Ländern bekannt, wo Restaurants mit dem Schild «No Kids allowed» deutlich machen, welche Klientel sie wollen. Offenbar kommt diese Bewegung nun auch zu uns. Die Wirte, so meine Kollegin, seien meist zufrieden mit ihrer Aktion, vor allem Kinderlose würden vermehrt kommen und «kinderfreie Zonen» seien wirtschaftlich erfolgreich.

Zwar kenne ich in der Schweiz nur sehr wenige Restaurants, in denen Kinder unerwünscht sind. Aber die Diskussionen in Blogs, Briefkästen von Elternzeitschriften und in Tageszeitungen zeigen, dass das Thema auch hierzulande ein heisses Eisen ist. Ist es Ausdruck einer wachsender Kinderfeindlichkeit? Sind Kinder tatsächlich nur noch erwünscht, wenn sie sich still verhalten? Und, ist «sich still verhalten» gleichzusetzen mit «gut erzogen»?

Mit Sicherheit läuft dann etwas verkehrt, wenn ein Kind mit Coupe Dänemark-Schokoladefinder die Fenster oder gar die Sitzbank des Restaurants verschmiert. Insbesondere dann, wenn die Eltern nicht einschreiten und gar so tun, als ob dies die normalste Sache der Welt sei. Wenn Restaurant-Betreiber dann eingreifen, ist dies verständlich. Denn sie haben verständlicherweise andere Interessen als Eltern. Vor allem wollen sie nicht, dass Eltern das Restaurant zur eigenen Wohnstube machen. Deshalb spricht für die Betreiber, dass sie «erzogene Kinder» wollen. Obwohl dies eine provozierende Forderung ist, Kinderhasser sind sie wohl kaum.

Andererseits spricht auch Einiges für die Eltern: Kinder gehören auch in ein Restaurant. Teil der Erziehung ist es, dass Kinder an verschiedenen Orten ‚sozialisiert‘ werden, also nicht nur zu Hause, bei der Gotte, den Grosseltern oder in der Krippe, sondern auch in der Arztpraxis, im Museum, im Schwimmbad oder im Tram. Kinder sollen die Regeln und Normen kennenlernen, welche an diesen unterschiedlichen Orten gelten.

Es wäre aber vermessen, von kleinen Kindern zu erwarten, dass sie per Knopfdruck wissen, was ein Restaurant vom häuslichen Wohnzimmer unterscheidet. Gibt man ihnen jedoch etwas Zeit, dann lernen sie schnell und intuitiv, dass es diese Unterschiede gibt, aber nur dann, wenn Eltern nicht nur «Flugbegleiter» (Jesper Juul), sondern Erzieher sind und mit Nachdruck die geltenden Normen durchsetzen. Und, wenn das Restaurant nicht zu ihrer ritualisierten Bleibe wird.

Sitzen Väter und Mütter stundenlang mit ihren Kindern im Restaurant oder im Café, dann ist dies für sie und ihre Kinder ungünstig. Wahrscheinlich signalisieren sie damit jedoch ein Bedürfnis: Vielleicht brauchen sie den Austausch mit anderen Eltern, vielleicht fällt ihnen sonst zu Hause die Decke auf den Kopf, vielleicht auch sehnen sie sich nach dem Zustand, als sie noch keine Kinder hatten und sie vollkommen frei waren. Mit Sicherheit ist dieses Sitzleder von Eltern auch ein Ausdruck dafür, dass es aktuell viel zu wenig Begegnungsräume für Familien gibt.

Das eingangs beschriebene Coupe Dänemark-Beispiel ist jedoch auch ein guter Hinweis auf die unterschiedlichen Erziehungsstile. Aus der Forschung kennen wir verschiedene Erziehungsstile, drei davon spielen bei diesem Beispiel eine Rolle. Erstens der autoritäre Erziehungsstil, der enge Kontrolle und Bestrafung ausübt. Autoritäre Eltern hätten dem kleinen Schokofinger wohl sofort eins hinter die Ohren verpasst. Zweitens der Laissez-Faire Erziehungsstil, der sich vollkommen an den Bedürfnissen des Kindes orientiert. Obiges Beispiel entspricht ihm vollkommen, denn die Eltern reagieren gar nicht auf die Kleckerei des Kindes und sind insgesamt vielleicht sogar stolz auf seine Kreativität. Das angemessene Verhalten wäre der autoritative Erziehungsstil. In unserer westlichen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft gilt er als derjenige, welche einer guten Erziehung am meisten förderlich ist. Dieser Erziehungsstil nimmt die Bedürfnisse des Kindes ernst, zeigt ihm Wärme, Wertschätzung und Anerkennung, formuliert aber ganz klare Regeln und Normen, die eingehalten werden müssen. Der kleine Schokofinger wäre somit sofort, aber liebevoll in seinem Tatendrang unterbunden worden und die Eltern hätten sich beim Restaurantbetreiber entschuldigt.

Ein solches autoritatives Verhalten bedingt jedoch – und dies fällt heute vielen Eltern schwer – dass sie bereit sein müssten, in einen Konflikt mit dem Kind zu treten und es zurechtzuweisen, vielleicht gar zu strafen, wenn es die Regeln nicht befolgt – und auch zu ertragen, dass es dann vielleicht unglücklich ist. All dies erfordert Geduld, Gelassenheit und auch Zeit. Und diese ist heute ein knappes Gut.

Meines Erachtens wäre es jedoch verfehlt, wie dies immer wieder geschieht, alle Eltern einfach an den Pranger zu stellen und von einer allgemeinen «Erziehungskatastrophe» zu sprechen. 70% der Eltern leisten im Allgemeinen sehr viel und fast alle wollen das Beste für ihr Kind. Man muss sie deshalb unterstützen, ihre erzieherische Rolle als Autorität einzuhalten.

Eltern dürfen ihre Kinder uneingeschränkt toll finden und ihrem Kind Liebe entgegenbringen, aber ohne Schuldgefühle. Sie sollten ihm gegenüber aber auch kritisch sein und ihm Grenzen aufzeigen, die immer und überall gelten – und dabei konsequent bleiben. Dann müsste es eigentlich möglich sein, dass wir auch in Restaurants oder Cafés ein «Generationenhaus» bleiben können…

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