Dragqueens im Kindergarten? Was ist von Bemühungen zu halten, bereits kleine Kinder vom Fokus auf «nur» zwei Geschlechter zu befreien?

erschienen in Aargauer Zeitung/Die Nordwestschweiz, 28.03.2023, 2.


Das Gendersternchen ist zum Symbol einer brisanten Debatte geworden. Dazu gehört der Trend, Dragqueens in den Kindergarten einzuladen. Doch dahinter verblassen Probleme rund um Geschlechterverhältnisse, die genau in diesem Lebensabschnitt bearbeitet werden sollten.

Einiges spricht gegen Dragqueens

Dragqueens sind vollbusige und glamourös wirkende Transvestiten. Besuchen sie den Kindergarten, sollen sie die Kleinen anregen, sich so wie sie zu verkleiden und zu schminken. Auf diese Weise können Kinder auf «spielerische Art die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit ausloten». So steht es im englischsprachigen Manifest, übersetzt als «Drag-Pädagogik: Die spielerische Praxis queerer Imagination in der frühen Kindheit». Queer ist der Sammelbegriff für Schwule, Lesben, Bisexuelle, trans*, inter*, asexuelle und weitere Menschen. Das bedeutet, dass die Queer-Theorie den traditionellen Blick auf zwei Geschlechter als einengend versteht. Diese «Heteronormativität» hindere kleine Kinder an ihrer geschlechtlichen Entfaltung.

So weit, so gut. Angesichts des Leids mancher nicht-binärer Personen hat die Queer-Bewegung eine Berechtigung. Trotzdem stellt sich die Frage: Was spricht gegen Dragqueens im Kindergarten? Beispielsweise die entwicklungspsychologische Erkenntnis, dass Kinder nie geschlechtsneutral aufwachsen, sondern in einem Körper mit Geschlechtsmerkmalen. Weil auch heute noch Geschlechtsnormen ab Geburt beeinflusst werden und Zuschreibungen stattfinden, ist im frühen kindlichen Gedächtnis ein Schema mit Informationen zu «Mädchen/Knabe» gespeichert. Darum glauben Kleinkinder, ihr Geschlecht mit Kleidung oder Verhalten wechseln zu können. Dass sich ein Knabe die Fingernägel pink bemalt und einen Rock anzieht, ist so normal wie wenn ein Mädchen gleich einem Knaben stehend pinkeln will. Von Problemen mit der eigenen Geschlechtsidentität kann in diesem Alter kaum die Rede sein. Obwohl die Queer-Pädagogik ein Bewusstsein für frühe Uneindeutigkeiten der Geschlechtszuordnungen erzeugen will, sind kleine Kinder aus entwicklungspsychologischer Sicht dazu noch kaum in der Lage. Eine Dragqueen im Kindergarten ist denkbar, vor allem aber eine schöne Märchenfee.

Viel wichtiger als die frühe Queer-Pädagogik ist die Arbeit an Rollenklischees 

Das weitaus gewichtigere Argument ist das enorme Anwachsen von geschlechtstypischen Verhaltensweisen ab dem Kindergarten. Noch vor dem Schuleintritt erkennen Kinder, dass sie ihr Geschlecht nicht per se wechseln können. Diese «Geschlechtskonstanz» ist eine Voraussetzung für die Nachahmung gleichgeschlechtlicher Modelle. Eine Erziehung, die sich geschlechtstolerant bezeichnet, muss deshalb ab dem frühen Kindesalter die Vielfalt von Entwicklungen im Auge haben. Geschieht dies erst in der Primarschule, ist die geschlechtliche Identitätsbildung fortgeschritten oder sogar abgeschlossen. Dann wird es immer schwieriger, Stereotypien zu verändern.

Die grosse Arbeit der frühen Bildungs- und Erziehungsbemühungen ist der alltägliche, kritische – und selbstkritische – Umgang mit Rollenklischees. Nur so kann die Kluft zwischen queer-pädagogischen und Normalvorstellungen aufgeweicht werden. Allerdings sieht eine solche Haltung davon ab, Mädchen müssten «nicht zu einer Frau heranwachsen» oder Knaben «nicht zu einem Mann» werden. Das Ziel ist eher, dass auf die Bedürfnisse eines jeden Mädchens und eines jeden Knaben eingegangen wird. Kleine Kinder sollen sich so entfalten können, wie es ihnen entspricht.

Das Wichtigste: die Unterstützung des individuellen Entwicklungswegs jedes Kindes

Gelingt es unserer Gesellschaft zukünftig, toleranter mit geschlechtsatypischen Interessen und Verhaltensweisen umzugehen? Das ist sehr zu hoffen. Dann ist nicht zu befürchten, dass kleine Kinder stigmatisiert oder in ihrer geschlechtlichen Entwicklung behindert werden. Und die frühe Queer-Pädagogik könnte sich zurücknehmen und sich auf das Wichtigste konzentrieren: auf die Unterstützung des individuellen Entwicklungswegs jedes Kindes. 

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