Weshalb der Import von Lehrlingen aus Südeuropa problematisch ist

Tatsache ist, dass in der Schweiz viele Lehrstellensuchende aktuell noch keine Zusage für eine Lehrstelle haben, weil ihnen nach Meinung der Betriebe die notwendigen Qualifikationen fehlen. Andererseits ist der Lehrlingsmangel in gewissen Branchen enorm. Der Bundesrat prüft deshalb, ob diese Situation entschärft werden könnte, wenn die Schweiz arbeitslose Griechen, Spanier oder Italiener ausbilden würde. In diesen südeuropäischen Ländern beträgt die Jugendarbeitslosigkeit teilweise um 50%, in der Schweiz hingegen nur 2.9%.

Meine Haltung ist klar: Wir haben genug Potenzial an Auszubildenden in unserem Land. Zudem hat der Bund eine vielversprechende Qualitätsoffensive gestartet. Ist diese so schnell vergessen gegangen, die uns in Form der Kampagne «BERUFSBILDUNGPLUS.CH. Der Weg der Profis» von vielen Plakaten entgegen(ge)lacht (hat)? Das Ziel dieser Offensive ist die Suche und Förderung von Talenten, die Anwerbung von Frauen für technische Berufe und die gezielte Nutzung des Potenzials von jungen Migrantinnen und Migranten. Dies bleiben bekanntlich nicht selten wegen ihres Namens, ihrer schlechten Schulnoten und aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds auf der Strecke.

Nach Meinung der Betriebe liegt die Hauptursache des Lehrlingsmangels bei den Jugendlichen selbst, weil sie den Leistungsanforderungen kaum mehr genügen. Viele Betriebe rügen die Volksschule immer wieder und teilweise auch sehr pointiert, dass sie die Schülerinnen und Schüler zu wenig auf das vorbereiten würde, was in der beruflichen Grundbildung gefordert sei. In den Warteschlaufen, d.h. im 10. Schuljahr, in den Brückenangeboten oder den Motivationssemestern, sind die meisten Jugendlichen genau aus solchen Gründen: Weil sie die mündliche und schriftliche deutsche Sprache nur mangelnd beherrschen, lediglich elementare Mathematikkenntnisse haben oder auch, weil ihre so genannten ‚Sekundärtugenden‘ nicht genügend ausgebildet sind. Dazu gehören Leistungsmotivation, Zuverlässigkeit, Fleiss und Ordnungssinn.

Meint man nun tatsächlich, spanische und portugiesische Lehrlinge würden über solche Kompetenzen automatisch verfügen? Oder sie liessen sich in einem Crash-Kurs für die notwendigen Sprachkenntnisse in kürzester Zeit fit machen? Oder spielt es plötzlich keine grosse Rolle mehr, wenn der Konditorlehrling aus Portugal kaum mehr deutsch kann? Solche südeuropäischen Jugendlichen sprechen ja in der Regel weder deutsch noch französisch und haben dies in der Schule auch nicht gelernt.

Meines Erachtens ist diese Idee eine blauäugige und zudem eine, welche eine Ohrfeige für all die jungen Menschen ist, welche in der Schweiz leben, x-Bewerbungen schreiben, nur Absagen erhalten und viele von ihnen bisher gar nie eine Chance bekommen haben, sich zu bewähren und sich zu engagieren. Das Risiko steht im Raum, dass ein Teil dieser Warteschlaufen-Kids zur verlorenen Generation wird. Viele von ihnen sind nicht einfach schlecht oder dumm, sondern sie sind nicht entsprechend, und vor allem nicht entsprechend früh, gefördert und in ihren Sekundärtugenden ‚geschliffen‘ worden. Anstatt Jugendliche aus Südeuropa anzuwerben, müssten Politik und Wirtschaft gerade in der jetzigen Situation genau für dieses Segment von Jugendlichen gezielte und verbindliche Perspektiven schaffen.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich schliesse ausdrücklich die grenznahen Gebiete der Schweiz aus, wo die Situation anders aussieht. Dazu gehören beispielsweise die etablierte Tradition im Raum Basel oder – eher neuerer Natur – diejenige im Tessin, wo ausländische Jugendliche als Lehrlinge eingestellt werden und mit denen man gute bis sehr gute Erfahrungen macht. Im Unterschied zu Südeuropäern sprechen sie aber die Umgangssprache sehr oft bereits seit langem und vor allem werden sie auch nicht so entwurzelt, wie dies bei den Südeuropäern der Fall wäre.

Denn viel zu wenig bedacht wird, dass junge angeworbene Südeuropäer – genauso wie unsere einheimischen Jugendlichen – mitten in der Pubertät stehen. Max Frisch hat in den 1960er Jahren einmal gesagt: «Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.» Übertragen auf die heutige Situation könnte man formulieren: «Wir riefen Lehrlinge und es kamen Kinder.» Entwicklungspsychologisch betrachtet brauchen junge Menschen immer – ob Nord-, West-, Mittel-, oder Südeuropäer – ein familiäres Umfeld, das ihnen Halt, Unterstützung und Nestwärme bietet. Dies zu leisten vermag die Idee des Bundesrats, so wie sie heute ausgereift ist, nicht. Anstatt Lehrlinge aus Südeuropa anzuwerben, täte die Schweiz viel besser daran, in den Ländern selbst zu investieren. Rudolf Strahm hat mit der Idee der Kohäsionsmilliarde einen Anstoss gegeben.

Meines Erachtens ist es die erste und auch vornehmlichste Pflicht unseres Landes, allen hier lebenden Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen und sie gezielt und vor allem früh genug in ihrem Kompetenzaufbau zu unterstützen. Die gegenwärtige Situation kann für Lehrbetriebe zur Chance werden, ihre Selektionsstrategien zu überdenken. Schulnoten verdecken oft das, was Jugendliche eigentlich könnten. Dies trifft oft für schulmüde Jugendliche zu, die im Prinzip leistungsstark sein könnten. Betriebe sollten deshalb viel stärker zwischen Leistung und Potenzial unterscheiden und Fähigkeiten, die jenseits schulischen Wissens vorhanden sind, berücksichtigen.

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