Frauen statt Migranten?

Liebe Bloggerinnen und Blogger
Ich habe mich sehr über die Kommentare der letzten Woche gefreut, nachdem ich mich schon gewundert hatte, weshalb sie bisher ausgeblieben waren. Eigentlich wollte ich heute auf die Kommentare eingehen, doch verschiebe ich dies auf einen der nächsten Blogs. Der Grund ist der, dass mich heute die Rede von Bundesrätin Sommaruga am 1. Mai in Bern sehr beschäftigt. Deshalb heisst mein Blog heute
 
Frauen statt Migranten?
Über die Probleme, die Zuwanderung in den Griff zu kriegen
Simonetta Sommarugas Botschaft war eigentlich für uns Frauen und für unsere Gesellschaft eine gute: Sie forderte nämlich attraktivere Arbeitsbedingungen für die Frauen, damit sie Familie und Beruf besser vereinbaren können. Wahrscheinlich hat sie die Männer mitgemeint, die ja davon auch profitieren würden. Ich gehe davon aus, dass sich Frau Sommaruga bereits Gedanken gemacht hat, wie dieses Problem gelöst werden kann: dass Familien erschwingliche Krippenplätze garantiert bekommen und dass Betriebe sich dafür auch einsetzen sollen. Ihr Hauptargument war aber das, dass die Schweizer Wirtschaft aufgrund der Personenfreizügigkeit jährlich zehntausende von Menschen in unser Land holt, während dem gut ausgebildete Schweizerinnen nicht oder nicht ‚genügend‘ berufstätig sind.

Grundsätzlich stört mich, dass es wieder einmal die Frauen sind, welche eine Pufferfunktion übernehmen sollen. Waren sie zu Zeiten der Rezession die ersten, welche ihre Stellen räumen mussten, sind sie nun ebenfalls die ersten, welche die Zuwanderung beschränken sollen. Frauen als anpassungsfähige Manövriermasse? Frau  Sommargua will zwar explizit nicht Frauen gegen Migranten ausspielen, aber es fällt schwer, diesen Vergleich ausseracht zu lassen.

Insgesamt sind es drei Dinge an dieser Forderung, die mich stören, und ich bin gespannt, wie Sie dies sehen. Erstens, dass nicht bedacht wird, dass zwar 1/3 der Teilzeit arbeitenden Frauen in der Schweiz gemäss einer Umfrage des Bundesamtes für Statistik gerne mehr arbeiten möchten, zwei Drittel jedoch nicht. Zweitens, dass wieder einmal nur die gut ausgebildeten Frauen in den Blick genommen werden ( während die weniger gut ausgebildeten Frauen vor allem als Belastung empfunden werden) und – damit verbunden –drittens, dass unbeachtet bleibt, welch grosses Potenzial die Migrantinnen und Migranten, die bereits hier leben, darstellen – wenn man sie entsprechend beachten und fördern würde.

Meines Erachtens müsste man nicht den Blick auf das weibliche Potenzial, sondern in erster Linie auf das der bereits hier lebenden Migrantinnen und Migranten legen. Sie sind die vielleicht grössten Begabungsreserven unseres Landes. Seit der berühmten PISA-Studie ist es zum Allgemeinwissen geworden, dass der Bildungserfolg in der Schweiz ausgesprochen stark von der sozialen Herkunft abhängt. So haben Kinder aus Arbeiterfamilien oder solche mit Migrationshintergrund bei gleichen Schulleistungen eine zwei- bis dreimal geringere Chance, eine anspruchsvolle Lehrstelle in der Berufsbildung zu bekommen oder den Sprung ans Gymnasium zu schaffen als Kinder aus privilegierteren Sozialschichten. Deshalb müsste es zur zentralen Strategie werden, dieses bisher nicht entdeckte Potenzial besser auszuschöpfen. Zwar könnte man auf den ersten Blick meinen, dass sich die Schweiz dank dem Zustrom an die Gymnasien auf solche Herausforderungen einstellt. Nicht entdeckte Begabungsreserven sind aber vor allem in den anforderungsniedrigen Schulniveaus anzutreffen, in Real- und Sekundarschulen. Deshalb geht es nicht um die Förderung von intellektuell überdurchschnittlich Begabten.

Sollen Begabungsreserven nutzbar gemacht werden, so muss man somit solchen Kindern und Jugendlichen helfen, diese Hürden zu überwinden. Eigentlich sollte dies vom Schulsystem geleistet werden, doch ist es unter den gegenwärtigen Bedingungen dazu offenbar kaum in der Lage. Einer der Haupthindernisse liegt im ‚Nadelöhr‘ der Schule. Häufig lassen die Lehrkräfte nur soziale angepasste, leistungsstarke und einheimische Schülerinnen und Schüler zu Förderprogrammen zu, so dass diejenigen durch die Maschen fallen, die aus Familien stammen, die nicht zum Schweizer Mainstream gehören und in denen solche Kompetenzen kaum gefördert werden.

Sicher ist: Bemühungen um die Ausschöpfung von Begabungsreserven können nicht einfach auf die Schweizer Frauen setzen, die nun plötzlich in die Bresche springen sollen –unser Gesellschaftsmodell und unsere Kinderbetreuungsstrategie haben sich bisher kaum geändert. Deshalb sollen zuerst Lösungen präsentiert werden, welche die Frauen sie nicht noch mehr Belastungen aussetze, um zu ‚Erfolgsfaktoren zur Bekämpfung der Zuwanderung‘ werden zu lassen.

In der Zwischenzeit sollte die Schweiz grundsätzlich mehr tun für die Chancengerechtigkeit aller Menschen, die in unserem Land leben. Am meisten verdienen dies die Migrantinnen und Migranten. Sie bilden die vielleicht beste Grundlage zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.
 
 
 
 
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