Hausfrauen: Vollzeit-Mutterschaft als Rebellion?

Ich weiss, dieser Blog passt nicht so gut zur Corona-Krise. Trotzdem habe ich ihn geschrieben. Erstens, weil wir uns auch mit anderen Dingen und ganz grundsätzlich – und vielleicht gerade jetzt – mit unserem Lebensmodell befassen sollten. Zweitens, weil es mich interessieren würde, ob die Schulschliessungen für berufstätige Mütter andere Herausforderungen mit sich bringen als für Vollzeit-Mütter – ihre Partner immer miteinbezogen.


Jede Frau, die Mutter wird, muss sich entscheiden, ob sie berufstätig bleiben oder sich für eine kürzere respektive längere Zeit aus dem Berufsleben ausklinken will. Unsere Gesellschaft kennt nur die Hausfrau oder die Berufsfrau. Deshalb werden Frauen entweder als Mütter oder als Berufsfrauen konstruiert, aber selten als beides. Medien, Ratgeber und Selbsthilfebücher leiden an dieser Übersimplifizierung und fördern deshalb den Streit, wessen Modell die bessere Mutter hervorbringt: Ist es das Modell der Vollzeit-Mama, welche sich für Jahre ganz auf ihre Kinder einstellt oder die zu allem fähige Karrieremutter?

Vielen Frauen fällt es nicht leicht, sich für ein bestimmtes Lebensmodell zu entscheiden, weshalb sie oft dasjenige wählen, das am gängigsten ist. Trotzdem spüren nicht wenige eine deutliche Ambivalenz.

Einmal Hausfrau – immer Hausfrau?

Die einen sind mehr oder weniger überzeugte Vollzeit-Mütter, die anderen mehr oder weniger überzeugte Vollzeit-Berufstätige, die dritten pendeln sich in der Teilzeitarbeit ein und stehen irgendwie zwischen den beiden Polen. Solche Zugehörigkeiten formen ihre Identität, als Mutter und als Berufstätige. Doch jeder Lebensentwurf ist ein Resultat langer persönlicher Überlegungen und Verhandlungen mit dem Partner, den Kindern, dem Arbeitgeber – und nicht immer sind Frauen überzeugt, das richtige Modell gewählt zu haben (Berufstätigkeit ja oder nein? Teilzeit? Vollzeit? Vollzeit-Mutterschaft?). Deshalb vergleichen sich viele Mütter ständig mit anderen Frauen und fragen sich, ob diese vielleicht die bessere Wahl getroffen haben.

Leider bleibt in solchen Diskussionen der Gedanke aus der Lebensspannenpsychologie aussen vor, dass Entwicklung immer ein lebenslanger Prozess von Veränderung und Stabilität, von Verlust und Gewinn, ist. So besehen ist die Aussage «einmal Hausfrau – immer Hausfrau» respektive «einmal Vollzeit-Berufstätige – immer Vollzeit-Berufstätige» lediglich eine Exploration des Ist-Zustands. Auf der Basis der Lebensspannenperspektive ist es genauso möglich, dass sich eine Hausfrau nach Jahren der Vollzeit-Mutterschaft wieder in eine Ausbildung oder den Beruf stürzt und zu einer einträglichen Berufsarbeit findet, währendem eine Vollzeit berufstätige Mutter möglicherweise – auch aus Gründen gefühlter Überforderung – stagniert und die «Opting-Out Lösung» wählt. Wie alle Menschen werden auch Mütter mit zunehmendem Alter andere Menschen als sie einmal gewesen sind. Die einen sind in der Lage, enorme Stärken zu entwickeln, andere zeigen in gewissen Bereichen eine unerwartete Stagnation.

Die Karriere der Hausfrau: Vollzeit-Mutterschaft als Rebellion?

Wie gehen Frauen, welche zu Hause bleiben, mit dem Vorwurf um, dass sie intellektuell verarmen und sich zeitlebens von einem Ernährer abhängig machen würden? Eine Teilnehmerin unserer Studie* – nennen wir sie «Daniela» (Hausfrau und ehemalige Immobilienmaklerin) hat ganz bestimmte Strategien.

Daniela will nicht, dass ihre Kinder ausserhalb der Familie betreut werden. Es ist ihr wichtig, Zeit mit ihnen zu verbringen und jeden Tag für sie zu kochen. Nicht so wichtig ist ihr die Frage, was morgen sein wird. Zwar ist sie sich im Klaren, dass der Zustand, Vollzeit-Mutter zu sein, zunehmend unüblich ist und als altmodisch gilt, trotzdem verteidigt sie ihre Entscheidung vehement und bezeichnet sie sogar als politische Alternative zur Ausbeutung von Frauen. Sie will nicht abwertend als «Nur-Hausfrau» bezeichnet werden, sondern von der Aussenwelt Anerkennung bekommen. Das ist aber mehrheitlich nicht so. Oft stellen ihr andere Müttern zynische Fragen: «Was, Sie sind zu Hause, und Sie arbeiten nicht?» Oder: »Warum konzentrieren Sie sich so sehr auf die Kinder, wenn es doch Wichtigeres gibt?« Daniela sagt, die beste Reaktion auf solche aus ihrer Sicht dämlichen Fragen sei die Ironie. Sie würde dann jeweils lächelnd antworten: «Ja, Sie haben Recht, ich bin altmodisch, aber solche Frauen muss es ja auch geben.»

Nur Mutter respektive nur Hausfrau zu sein, braucht eine psychische Stärke, weil Hausfrauen für viele Menschen die antifeministische, antiliberale Gesellschaft verkörpern, welche die emanzipierten Frauen im Stich lassen. Tausendfach karikiert – so schreibt Elisabeth Raether* – gilt die Hausfrau «als Spiesserphänomen, als Minderheit, über die alle Witze erlaubt sind».

Das Familienmodell darf kein Dogma sein

Meines Erachtens sind Hausfrauen, die mit ihrem Partner – vielleicht auf Zeit – das Ernährermodell praktizieren, nicht die Verliererinnen oder ein zu überwindender Anachronismus. Jedes Familienmodell muss eine frei gewählte Lebensform unter vielen sein können.

Natürlich ist es wünschbar, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer eine Selbstverständlichkeit wird, aber sie darf kein Dogma sein. Frauen, welche sich auf ein vielleicht befristetes Modell konzentrieren, das einen beruflichen Ausstieg für eine begrenzte Anzahl Jahre vorsieht, müssen genauso ihr Abbild in den Leitideen einer fortschrittlichen Familienpolitik finden wie Mütter, die auf die Berufstätigkeit setzen. Trotzdem sollten Frauen mit ihren Partnern die Folgen der Wahlfreiheit – wenn es denn eine ist – früh diskutieren und ihre Zukunft inklusive Rente in den Blick nehmen, insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen eines Berufsausstiegs. Scheitert die Partnerschaft, haben die verschiedenen Modelle unterschiedliche Abhängigkeiten zur Folge.

Literatur

*Darüber berichte ich in meinem neuen Buch zum Mama-Mythos, das im August bei Piper erscheint.

**Raether, E. (2012).  Die will doch nur spülen, in: Die ZEIT, 31.10.2012.

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Kommentare 1

Gäste - Marianne Hafner (website) am Dienstag, 21. Juli 2020 11:42
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Montag, 06. Mai 2024

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