Krippe oder Herd?

Der beliebteste Twitter-Inhalt in Deutschland war vor drei Wochen das «Betreuungsgeld» gewesen. Zuvor war es am 9. November 2012 vom Bundestag mit einem sehr knappen Mehr beschlossen und damit Folgendes festgelegt worden: Jeder Familie, die ihr 13 bis 36 Monate altes Kind in keine Kindertagesstätte steckt oder keine staatlich geförderte Tagesfamilie in Anspruch nimmt, soll ab dem 1. August 2013 zunächst 100, später 150 Euro monatlich für die Betreuung zu Hause ausbezahlt werden.

Die Frage, welche hinter der Idee ‚Betreuungsgeld‘ steckt, ist eine hoch brisante und auch für die Schweiz aktuelle, nämlich die: Soll der Staat neben dem ‚Krippenmodell‘ (Subventionierung von Krippen) auch ein ‚Familienmodell‘ unterstützen, das den Müttern – sehr selten sind es Väter – erlaubt, über einen längeren Zeitraum kein Geld zu verdienen und sich ausschliesslich den Kindern zu widmen? Gemäss unserer FRANZ-Studie (=Früher an die Bildung, erfolgreicher in die Zukunft?), die in diesen Tagen abgeschlossen wird und Auskunft über Familien der Mittelschicht gibt, wählen in der Schweiz gut 30% der Familien diese Lebensform, währenddem sich ungefähr 70%  für ein Modell mit familienergänzender Betreuung entscheiden. Man könnte somit davon ausgehen, dass in einer pluralistischen Gesellschaft wie der unsrigen unterschiedliche Auffassungen vom ‚richtigen Familienleben‘ gleichermassen akzeptiert werden und nebeneinander bestehen können. Dem ist aber kaum so. Gerade die politischen Parteien verkörpern die enorme Polarität, welche dieser Frage zu Grunde liegt. Da die politische Rechte besonders pointiert die Stärkung der Familie als Erziehungshoheit sowie eine Mutter einfordert, die zum Kind gehört und deshalb zu Hause bleibt, werden aus der Sicht anderer Parteien diejenigen Eltern, die sich für das Familienmodell entscheiden, schnell einmal als Bünzli oder Spiesser und als Inbegriff einer antifeministischen und antiliberalen Gesellschaft etikettiert. Verstärkt wird diese Etikettierung dadurch, dass es sehr wenige Paare gibt, welche diese Lebensform öffentlich, gehaltvoll und undogmatisch verteidigen.

Obwohl der deutsche Bundstag das Betreuungsgeld mit 310 zu 282 Stimmen angenommen hat, ist es äusserst umstritten. Leider überwiegt in der Diskussion eine Schwarz-Weiss-Polemik die am lautstarksten von Kanzlerkandidat Steinbrück und vom Fraktionschef der Grünen, Trittin, geführt wird. Sie bezeichnen das Betreuungsgeld mit dem etwas sarkastischen Ausdruck «Herdprämie» oder auch mit «Fernhalteprämie». Steinbrück nannte es in der Debatte gar als «schwachsinnig». Es sei bildungs-, finanz-, gesellschafts- und arbeitsmarktpolitisch falsch, weil das Betreuungsgeld für Frauen Anreize schaffe, nach der Geburt eines Kindes länger dem Beruf fernzubleiben. Das werde ihre späteren Berufschancen mindern. «Weniger Frauen werden eine eigene Berufsbiografie schreiben, weniger Kinder werden Chancen auf frühe Bildungsförderung haben», sagte der SPD-Politiker.

Obwohl dieses Argumentationsmuster nicht zurückgewiesen werden kann, ist es ein einseitiges. Es verknüpft auf unglückliche Weise das politisch motivierte Konzept des Betreuungsgeldes mit einem präferierten Lebensmodell und gibt vor, als ob das Kita-Betreuungssystem für junge Kinder das einzig Richtige sei. Vor dem Hintergrund internationaler Forschungserkenntnisse ist diese Einseitigkeit falsch. Wir wissen aus der Forschung zur Genüge, dass Kinder je nach ihrer sozialen Herkunft, ihrem Temperament, der Bindungssicherheit zur Mutter resp. zum Vater und insbesondere auch je nach Qualität des familienergänzenden Angebots sehr unterschiedlich profitieren. Genauso wissen wir, dass eine familienergänzende Betreuung immer nur als (hoffentlich positive) Ergänzung zur Kernfamilie des Kindes und nie als Ersatz verstanden werden kann und dassVater und Mutter die wichtigste Sozialisationsinstanz ihres Kindes sind.

Das Betreuungsgeld hat wahrscheinlich deutlich mehr Nachteile als Vorteile haben (siehe hierzu beispielsweise http://argumentia.de/thema/betreuungsgeld). Doch scheint die Engführung der Argumentation eher bescheiden und stark ideologielastig, vor allem deshalb, weil es zwei Grundfragen ausblendet:

  • Was spricht gegen die Wahlfreihheit der Eltern, sich für ein bestimmtes, vielleicht zeitlich beschränktes, Lebensmodell zu entscheiden?
  • Oder anders – und mit dem interessanten Aufsatz im ZEIT-MAGAZIN gefragt: «Was machen Sie denn beruflich?» (31.10.2012): Ist Hausfrau (oder Hausmann)  eine frei gewählte weibliche (oder männliche) Lebensform unter vielen (…) oder ein Anachronismus, der überwunden werden muss, vergleichbar mit einem niedrigen Bildungsstand unter manchen Einwanderungsgruppen?

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Kommentare 2

Gäste - Walter Bauhofer am Dienstag, 18. Dezember 2012 05:56

Für mich liegt das Problem eher darin, dass kein Mensch mehr etwas zu tun bereit ist, es sei denn, er werde dafür bezahlt, vom Staat oder von wem auch immer.

Für mich liegt das Problem eher darin, dass kein Mensch mehr etwas zu tun bereit ist, es sei denn, er werde dafür bezahlt, vom Staat oder von wem auch immer.
Gäste - Thomas (website) am Donnerstag, 23. Juli 2015 11:02

Die Meinungen darüber gehen ja schon seit einiger Zeit in die unterschiedlichsten Richtungen. Jetzt wo das Verfassungsgericht auch noch das Betreuungsgeld als verfassungswidrig erklärt haben, werden sich die Kritiker freuen. Bleibt abzuwarten, was daraus jetzt noch wird.

Die Meinungen darüber gehen ja schon seit einiger Zeit in die unterschiedlichsten Richtungen. Jetzt wo das Verfassungsgericht auch noch das Betreuungsgeld als verfassungswidrig erklärt haben, werden sich die Kritiker freuen. Bleibt abzuwarten, was daraus jetzt noch wird.
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