Weg von der Uni! Wie man zum Studienabbrecher wird

Vor ein paar Wochen hat an den Universitäten die lang ersehnte «vorlesungsfreie Zeit» begonnen. Statistisch gesehen wird jeder vierte Student und jede vierte Studentin im Herbstsemester das Studium an den Nagel gehängt haben. «Dropouts» nennt man diese 28.1%, für die dies aktuell der Fall ist. So lauten zumindest die Ergebnisse einer Studie von Stefan Wolter und seinem Team, welche 2013 unter dem Titel «Studienabbrüche an Schweizer Universitäten»* erschienen ist. Interessant ist dabei, dass die Ergebnisse praktisch identisch sind mit jenen ausländischer Studien**.

Studienabbrecher kosten viel Geld, da sie das während des Studiums erworbene Fachwissen nicht einsetzen können. Deshalb ist von erstem Interesse, was wir über solche Phänomene wissen. Welches sind die Faktoren, die mit einiger Wahrscheinlichkeit mit einem Studienabbruch einhergehen? Erstens, dass Studienabbrüche vor allem eine männliche Angelegenheit sind. Frauen schliessen ihr Studium fast doppelt so oft ab als Männer. Zweitens brechen ältere Studierende ihr Studium häufiger ab als jüngere. Drittens sind die Kompetenzen vor Studienbeginn wichtig, denn je schlechter sie im Gymnasium waren, desto höher ist das Abbruchrisiko. Viertens spielt auch die Leistung während des Studiums und das Studienverhalten selbst eine Rolle. Abbrüche künden sich in den meisten Fällen an und zwar über nicht absolvierte resp. nicht bestandene Prüfungen, fehlende Motivation, Anstrengung und Integration in den universitären Betrieb. Fünftens spielt auch das Studienfach eine Rolle, finden sich doch Dropouts am häufigsten in den «hard sciences», d.h. in den exakten und Naturwissenschaften, in Medizin und Pharmazie sowie in den technischen Wissenschaften. Besonders zu denken geben muss jedoch der sechste Punkt: die Tatsache, dass die Abbruchquoten junger Migrantinnen und Migranten aus bildungsfernen Familien mit 40% besonders hoch sind. Das sind viel zu viele, darin sind sich alle Bildungsforscher einig. Denn wenn schon weniger als 10% von ihnen eine Matura machen als der Schweizer Durchschnitt (16%), dann ist die Bilanz ihres Studienerfolgs eine katastrophale.

Warum jedoch kommt es überhaupt zu Studienabbrüchen? Sind die Dropouts generell nicht leistungsstark genug, sind sie zu faul oder versagt das System? Hierzu weiss die Forschung wenig, jedoch mit ein paar Ausnahmen*/**. Angenommen werden kann, dass etwa ein Viertel durch Bedingungen, die nichts mit Leistung zu tun haben, zum Studienabbruch gezwungen wird: Sie haben massive Probleme bei der Studienfinanzierung, wegen familiären Verpflichtungen wie die Pflege von Angehörigen oder sie werden durch eigene Krankheiten aus der Bahn geworfen. Grösser scheint die Gruppe derjenigen zu sein, die mit falschen Erwartungen ins Studium kommen oder schlichtweg scheitern: Etwa jede dritte Person ist den Anforderungen nicht gerecht geworden. Als gesichert gilt dabei, dass eine schlechte Studierfähigkeit (ungenügende Vorkenntnisse bei der Matura) einen entscheidenden Einfluss auf das Abbruchrisiko hat.

Bei den Dropouts mit Migrationshintergrund dürften die Ursachen und Hintergründe jedoch etwas anders liegen. Neben mangelnden Sprachkenntnissen – das Alltagsdeutsch vieler Migrantinnen und Migranten lässt oft nicht zu, dass sie wissenschaftliche Texte lesen und kritisch kommentieren können** – sind es vor allem Schwierigkeiten in der Bewältigung der Studienbedingungen. Denn überdurchschnittlich viele von ihnen stammen aus sogenannt bildungsfernen Elternhäusern, in denen die Eltern ihren Kindern nicht nur keinen akademischen Rat mit auf den Weg geben können, sondern auch über besonders geringe finanzielle Möglichkeiten verfügen. Deshalb wird die Finanzierung des Studiums für viele zum zusätzlichen Stolperstein.

Der Grossteil dieser Studierenden wäre intellektuell sehr wohl in der Lage, das Studium zu beenden. Was ihnen jedoch vor allem fehlt, ist der soziale Rückhalt. Diese These lässt sich anhand positiver Beispiele belegen, etwa die Geschichte von Mahsa Ferydoni (Name geändert):

Mahsa ist mit ihrer Familie als Zehnjährige aus dem Iran in die Schweiz gekommen. Ihre Eltern sind Akademiker, so dass es Mahsa trotz anfänglicher Sprachprobleme ans Gymnasium schaffte. Heute studiert sie Computerlinguistik. Dass viele das Studium vorzeitig abbrechen, wundert sie nicht: «Die meisten Migranten geben zu früh auf. Dabei muss man sich von A bis Z durchbeissen.» Meistens sei nicht mangelnde Begabung das Problem, sondern das fehlende Selbstvertrauen.

Ich bin überzeugt, dass dies nicht nur ein Problem solcher Migrantinnen und Migranten, sondern auch vieler anderer Studierender, ist. Es braucht deshalb deutlich mehr Programme, welche nicht nur ein fachliches, sondern auch ein soziales Coaching anbieten. Zudem sind angesichts der Abbrecherstatistiken mehr Mentoringprogramme nötig, welche die Studierenden mit Kommilitonen höherer Semester sowie mit Vorbildern aus Wissenschaft und Praxis zusammenbringen. Allerdings müssten solche Programme Einheimischen und Migranten zugutekommen. Denn es wird viel zu selten daran gedacht, dass es auch bildungsferne Schweizerinnen und Schweizer gibt, welche sich heute durch den etablierten Studienbetrieb überfordert fühlen. Das hat nichts mit der Herkunftskultur zu tun.

Literatur

*Wolter, S. et al. (2013). Studienabbrüche an Schweizer Universitäten. Aarau: Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung. http://skbf-csre.ch/fileadmin/files/pdf/publikationen/Staffpaper11.pdf

** Heublein, U. et al. (2012). Die Entwicklung der Schwund- und Studienabbruchquoten an den deutschen Hochschulen. Statistische Berechnungen auf der Basis des Absolventenjahrgangs 2010. http://www.his.de/pdf/pub_fh/fh-201203.pdf

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Kommentare 1

Gäste - C. Neuendorf (website) am Montag, 16. März 2015 15:37

Die dargelegten Gründe für Studienabbrüche sind nachvollziehbar, allerdings ist auf einen Punkt kaum eingegangen worden: Viele Studierende haben möglicherweise vor Beginn ihres Studiums ein falsches Bild vom gewählten Studiengang. Diese enttäuschten Erwartungen führen häufig zu sinkender Motivation und abfallenden Leistungen. Um hier entgegenzuwirken wäre es wichtig, mit Interventionen bereits vor dem Übergang in das Studium anzusetzen. Ein Beispiel ist die Initiative One Week Student, die es Schülern erlaubt, bereits vor dem Ende ihrer Schulzeit für einige Tage in die sie interessierenden Studiengänge "hineinzuschnuppern", um so ein realistisches Bild der Anforderungen und Abläufe an der Universität zu erhalten. Würden mehr Schülerinnen und Schüler von derartigen Angeboten gebrauch machen, könnte das die Studienabbrecherzahlen bedeutend reduzieren.

Die dargelegten Gründe für Studienabbrüche sind nachvollziehbar, allerdings ist auf einen Punkt kaum eingegangen worden: Viele Studierende haben möglicherweise vor Beginn ihres Studiums ein falsches Bild vom gewählten Studiengang. Diese enttäuschten Erwartungen führen häufig zu sinkender Motivation und abfallenden Leistungen. Um hier entgegenzuwirken wäre es wichtig, mit Interventionen bereits vor dem Übergang in das Studium anzusetzen. Ein Beispiel ist die Initiative One Week Student, die es Schülern erlaubt, bereits vor dem Ende ihrer Schulzeit für einige Tage in die sie interessierenden Studiengänge "hineinzuschnuppern", um so ein realistisches Bild der Anforderungen und Abläufe an der Universität zu erhalten. Würden mehr Schülerinnen und Schüler von derartigen Angeboten gebrauch machen, könnte das die Studienabbrecherzahlen bedeutend reduzieren.
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