Das schweigende Geschlecht. Hintergründe zur Frage, weshalb die Männer in der Gleichstellungsdiskussion kaum eine Rolle spielen

erschienen in: NZZ, 08.01.2016, S.10, Teil 1.

 

Ich bin seit vielen Jahre Feministin. Meine Motivation war schon immer das Engagement gegen diskriminierende Geschlechterstrukturen unserer Gesellschaft. Heute bin ich verunsichert. Der Grund ist die Entwicklung der Gleichstellungspolitik und des jungen Feminismus. Die Gleichstellungseinrichtungen machen zwar professionelle Arbeit, aber sie haben zu wenig Rückhalt, insbesondere beim männlichen Geschlecht. Und der junge Feminismus, wie ihn die Ikone Laurie Penny postuliert, will eine Gleichstellung, die sich nicht mehr am Idealbild der Karrierefrau orientiert, sondern an Armen, Schwarzen, Hässlichen oder Dicken – und an Männern. Auch bei ihr ist das männliche Geschlecht nur mitgemeint.

Kann diese Entwicklung ein Grund dafür sein, weshalb sich Männer kaum zu Wort melden und sie in diesen wichtigen Fragen nur die zweite Geige spielen? Warum werden sie zum schweigenden Geschlecht? Bis auf ein paar Männerforscher und Männergruppen sind sie offensichtlich wenig bereit, ihre Bedürfnisse öffentlich kund zu tun. Vielmehr lassen sie zu, dass vor allem weiblich besetzte Gleichstellungsbüros Empfehlungen formulieren, was mit ihnen geschieht, wer sie sein oder werden sollen. Ist die Strategie des Gender Mainstreaming somit gescheitert? Sprachlich meint dieser Begriff zumindest eine Politik für Frauen und Männer, welche die Lebensbedingungen beider Geschlechter berücksichtigt.

Angesichts dieser schwierigen Situation ertönt immer häufiger die Forderung, Gleichstellungsbüros abzuschaffen. Winterthur hat dies getan, und der Applaus kam von Männern und Frauen. Dieser Meinung bin ich nicht. Es gibt noch viel Arbeit, man denke nur an die Lohnschere zwischen den Geschlechtern. Aber es braucht eine alternative Strategie, die auf Väter und Söhne ausgeweitet werden muss. Zwei Beispiele:

Knaben: Man kann es drehen und wenden wie man will, Mädchen haben bei gleichen intellektuellen Fähigkeiten bessere Schulnoten und zwar ab der ersten Klasse – ausgenommen in Mathematik. Durchschnittlich gelingt Knaben der Sprung ans Gymnasium seltener. Mädchen werden zudem in den Hausaufgaben von den Eltern mehr unterstützt als Knaben. Und diese wiederum führen die Negativ-Ranglisten in den Rückstellungen beim Schuleintritt, bei den Ritalin-Schluckern, Schulschwänzern und Schulabbrechern an. Dies führt dazu, dass die Gruppe junger Männer wächst, die ab 16 Jahren ohne Ausbildung dastehen. Zwar müssen solche Risikoszenarien relativiert werden – denn insgesamt gibt es innerhalb der Knaben- und der Mädchengruppe grössere Unterschiede als zwischen ihnen – doch ist die allgemeine Tendenz die, dass männliche Jugendliche in Zukunft immer mehr in Rückstand geraten dürften. Auch wenn wir in Verwaltungsräten, an den Universitäten und im Management insgesamt eine deutliche Überzahl an Männern haben.

Väter: Neue Väter braucht das Land! Diese Forderung kommt vor allem von Frauen. Zwar stimmt ein Grossteil der Väter dieser Forderung nicht nur zu, sondern sie wollen es auch werden. Doch fragt sich, was sich hinter dem Wörtchen «neu» verbirgt. Väter sollen nämlich vor allem präsenter sein, mehr im Haushalt und der Kinderbetreuung mithelfen, dabei auch Frauenversteher sein, trotzdem jedoch eine volle Lohntüte nach Hause bringen. Ein Grossteil dieser Forderungen entspricht jedoch dem Klischee eines veralteten Vaterbildes. Denn die Forschung zeigt mehr als deutlich auf, dass Präsenz nicht das ausschlaggebende Kriterium ist, damit ein Mann ein «guter» Vater ist. Ihn machen sowohl sichtbare als auch nicht sichtbare Fürsorgeleistungen aus. Deshalb kann auch ein Vollzeit arbeitender Vater ein guter Vater sein.

Unsere Gesellschaft braucht in der Gleichstellungspolitik einen Perspektivenwechsel. Erstens kann es nicht sein, dass Männer entweder alles stillschweigend gut finden oder dann in Internetforen die Faust im Sack machen und engagierten Frauen die offizielle Interpretationshoheit überlassen. Und es kann zweitens auch nicht sein, dass sich die Gleichstellungsbemühungen fast ausschliesslich auf Erwachsene konzentrieren. Die Weichen werden im Kindesalter gestellt! Drittens sollten wir den Irrtum korrigieren, nach der gesetzlich verankerten Gleichberechtigung nun das weibliche und männliche Geschlecht auch biologisch gleichzustellen. Männer müssen nicht weiblicher werden, aber sie sollten sich der Veränderung von Männlichkeit stellen, alte Machtansprüche aufgeben und mehr Engagement in der Familie, z.B. in Form von Teilzeitarbeit, auch tatsächlich erkämpfen wollen. Den Frauen wiederum sollten ermöglicht werden, sich den Platz in Beruf und Familie nicht nur erstreiten zu müssen, sondern auch auf die eigenen Bedürfnisse hören zu dürfen. Geschlechtergerechtigkeit heisst, dass Frauen und Männer nicht Kopien des anderen Geschlechts werden, sondern eine unabhängige Identität entwickeln.

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Kommentare 2

Gäste - Thomas Fink am Montag, 11. Januar 2016 09:53

Zur Forderung am Schluss des Artikels "Wir brauchen eine Gleichstellungspolitik", zur Feststellung, dass Neuerung oft stillschweigend akzeptiert werden und man nachher darüber die Faust im Sack macht: Dann müssten Sie unbedingt einige Sätze schreiben, wie diese Gleichstellungspolitik heute abläuft.
1. Meistens sind nur wenige Stellen beteiligt Das Bundesamt für Justiz (die zuständige kleine Dienststelle, die für die ZGB-Bestimmungen hinsichtlich Ehe, Scheidung Kindesrecht, etc. zuständig ist), einige Parlamentarier (die mittels Vorstössen Änderungen vorschlagen), der Bundesrat sowie das Parlament (als Gesetzgeber). Die Parteien und der Bundesrat versäumen es regelmässig, das Volk zu informieren, was sie diesbezüglich (über die Scheidung, etc.) beschliessen.
2. Da man die Frau als die schwächere Partei ansieht sind sich Parlament und die Gerichte immer einig, dass man die rechtlichen Bestimmungen immer strikt anwenden muss, ohne jede Rücksichtnahme.
3. Die Männer sind voll berufstätig und oftmals juristisch sowie in ehe- und familienrechtlichen Belangen wenig interessiert: Sie kümmern sich wenig darum, was im Parlament geht. Hinzu kommt, dass die Männer bei solchen Gleichstellungsprojekten immer die Meinung hören, es gehe darum, endlich Gerechtigkeit herzustellen resp. die bisherige Benachteiligung der Frau zu beseitigen.
Wenn eine neue Gleichstellungspolitik verlangt wird, so müsste diese Forderung wie folgt konkretisiert werden:
1. Die StimmbürgerInnen sind, bevor das Parlament neue Bestimmungen erlässt, besser zu informieren und es ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Es kann aber nicht sein, dass sich die StimmbürgerInnen durch Dutzende von Seiten durchlesen müssen, so wie dies jene tun müssen, die sich an einer Vernehmlassung des Bundesrats beteiligen.
2. Auch die politischen Parteien müssen bei den ehe- und familienrechtlichen Themen viel stärker auf ihre Mitglieder und Sympathisanten zugehen.
Wissen Sie, wie ich z.B. die Revision des Scheidungsrechts (Projekt unter Bundesrat Koller) erlebt habe? Erst als die Revision vom Parlament beschlossen war, ist dieses Thema in jenen Zeitschriften und Publikationen, die ich lese, wirklich aufgetaucht. Ich war entsetzt darüber, wie der Vorsorgeausgleich unfachmännisch geregelt wurde. Nachträglich habe ich Einblick erhalten in den Ablauf: Die zuständige Stelle im Bundesamt für Justiz war stolz darauf, eine Lösung gefunden zu haben und Einwendungen wurden ignoriert. 10 Jahre später habe ich mich dann dort gemeldet und einige meiner Vorschläge sind in die Revision des Vorsorgeausgleichs eingeflossen. Diese Revision wurde im Sommer 2015 vom Parlament beschlossen. Der Bundesrat hat sie noch nicht in Kraft gesetzt.
Ebenfalls wichtig (was in meinem Artikel nur wenig Raum einnimmt, aber von fundamentaler Bedeutung ist), dass sich die Frauen in beruflicher Hinsicht alles tun, um über eine eigene wirtschaftliche Existenz zu verfügen. Das tun sie heute viel zu wenig. In der schulischen Bildung tun die Frauen zwar viel. Aber sie erlernen Beruf und studieren Fächer, wo die Erwerbsaussichten schwierig sind (z.B. Psychologie). Hinzu kommt, dass sie nach dem Studium nicht oder nur mit halber Kraft in den Beruf einsteigen, was ihre beruflichen Aussichten massiv beeinträchtigt, sogar dann, wenn sie ein Studium mit guten Erwerbsaussichten abgeschlossen haben, z.B. Medizin.

Zur Forderung am Schluss des Artikels "Wir brauchen eine Gleichstellungspolitik", zur Feststellung, dass Neuerung oft stillschweigend akzeptiert werden und man nachher darüber die Faust im Sack macht: Dann müssten Sie unbedingt einige Sätze schreiben, wie diese Gleichstellungspolitik heute abläuft. 1. Meistens sind nur wenige Stellen beteiligt Das Bundesamt für Justiz (die zuständige kleine Dienststelle, die für die ZGB-Bestimmungen hinsichtlich Ehe, Scheidung Kindesrecht, etc. zuständig ist), einige Parlamentarier (die mittels Vorstössen Änderungen vorschlagen), der Bundesrat sowie das Parlament (als Gesetzgeber). Die Parteien und der Bundesrat versäumen es regelmässig, das Volk zu informieren, was sie diesbezüglich (über die Scheidung, etc.) beschliessen. 2. Da man die Frau als die schwächere Partei ansieht sind sich Parlament und die Gerichte immer einig, dass man die rechtlichen Bestimmungen immer strikt anwenden muss, ohne jede Rücksichtnahme. 3. Die Männer sind voll berufstätig und oftmals juristisch sowie in ehe- und familienrechtlichen Belangen wenig interessiert: Sie kümmern sich wenig darum, was im Parlament geht. Hinzu kommt, dass die Männer bei solchen Gleichstellungsprojekten immer die Meinung hören, es gehe darum, endlich Gerechtigkeit herzustellen resp. die bisherige Benachteiligung der Frau zu beseitigen. Wenn eine neue Gleichstellungspolitik verlangt wird, so müsste diese Forderung wie folgt konkretisiert werden: 1. Die StimmbürgerInnen sind, bevor das Parlament neue Bestimmungen erlässt, besser zu informieren und es ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Es kann aber nicht sein, dass sich die StimmbürgerInnen durch Dutzende von Seiten durchlesen müssen, so wie dies jene tun müssen, die sich an einer Vernehmlassung des Bundesrats beteiligen. 2. Auch die politischen Parteien müssen bei den ehe- und familienrechtlichen Themen viel stärker auf ihre Mitglieder und Sympathisanten zugehen. Wissen Sie, wie ich z.B. die Revision des Scheidungsrechts (Projekt unter Bundesrat Koller) erlebt habe? Erst als die Revision vom Parlament beschlossen war, ist dieses Thema in jenen Zeitschriften und Publikationen, die ich lese, wirklich aufgetaucht. Ich war entsetzt darüber, wie der Vorsorgeausgleich unfachmännisch geregelt wurde. Nachträglich habe ich Einblick erhalten in den Ablauf: Die zuständige Stelle im Bundesamt für Justiz war stolz darauf, eine Lösung gefunden zu haben und Einwendungen wurden ignoriert. 10 Jahre später habe ich mich dann dort gemeldet und einige meiner Vorschläge sind in die Revision des Vorsorgeausgleichs eingeflossen. Diese Revision wurde im Sommer 2015 vom Parlament beschlossen. Der Bundesrat hat sie noch nicht in Kraft gesetzt. Ebenfalls wichtig (was in meinem Artikel nur wenig Raum einnimmt, aber von fundamentaler Bedeutung ist), dass sich die Frauen in beruflicher Hinsicht alles tun, um über eine eigene wirtschaftliche Existenz zu verfügen. Das tun sie heute viel zu wenig. In der schulischen Bildung tun die Frauen zwar viel. Aber sie erlernen Beruf und studieren Fächer, wo die Erwerbsaussichten schwierig sind (z.B. Psychologie). Hinzu kommt, dass sie nach dem Studium nicht oder nur mit halber Kraft in den Beruf einsteigen, was ihre beruflichen Aussichten massiv beeinträchtigt, sogar dann, wenn sie ein Studium mit guten Erwerbsaussichten abgeschlossen haben, z.B. Medizin.
Gäste - Fink Thomas am Dienstag, 12. Januar 2016 09:10

Ergänzung zu meinem Kommentar:
1. Es wäre somit sehr hilfreich, wenn sich die Frauen - vor allem beruflich - endlich selbst befreien würden. Dann könnte der Gesetzgeber z.B. beim Scheidungsrecht den Eheleuten mehr Freiheiten zugestehen Heute hat ja die Frau bereits nach kurzer Ehedauer Anspruch auf den Lebensstandard, den der Mann in die Ehe gebracht hat - wofür er vielleicht viel Geld investiert hat und viel gearbeitet hat. Was hat die Frau getan, um sich solche materielle Leistungen zu verdienen? Der Gesetzgeber müsste nun von den Frauen mehr Eigenverantwortung in Bezug auf die eigene Existenz verlangen!
Zurzeit erleben wir ja, dass Frau Sommaruga die angebliche Lohndiskriminierung mit einem neuen Gesetz bekämpfen will. Und das läuft ab, wie oben beschrieben: Bundesamt für Justiz, Bundesrat, Parlament. In den Medien gibt es laute Proteste - aber sie werden einfach ignoriert und am Schluss haben wir die Lohnpolizei!
3. Und ich meine: Auch hier liegt es vor allem an den Frauen. Sie sollten sich bei Frau Sommaruga melden resp. in der Öffentlichkeit hinstehen und sagen: Wir sind clever genug. Wir schaffen es beim Arbeitgeber (mit unserer Rhetorik, mit unserem Charme, etc.), damit wir den Lohn erhalten, den wir aufgrund unserer Fachkenntnisse, unserer Erfahrung und unserer Leistung (oftmals hat frau aber viele sonstige Rollen und ist sogar froh darum, wenn andere da sind, die bereit sind, Überzeit zu leisten, etc.) zu gut haben. Wenn die Frauen diese Bestätigung nicht abgeben und einfach schweigen, knicken Frau Sommaruga und das Parlament einmal mehr ein. Da nützen Proteste der Wirtschaft und der Männer wenig und behauptet, man müsse hier eine Ungerechtigkeit beseitigen und genau deshalb könne man die Kritik nicht wirklich berücksichtigen.

Ergänzung zu meinem Kommentar: 1. Es wäre somit sehr hilfreich, wenn sich die Frauen - vor allem beruflich - endlich selbst befreien würden. Dann könnte der Gesetzgeber z.B. beim Scheidungsrecht den Eheleuten mehr Freiheiten zugestehen Heute hat ja die Frau bereits nach kurzer Ehedauer Anspruch auf den Lebensstandard, den der Mann in die Ehe gebracht hat - wofür er vielleicht viel Geld investiert hat und viel gearbeitet hat. Was hat die Frau getan, um sich solche materielle Leistungen zu verdienen? Der Gesetzgeber müsste nun von den Frauen mehr Eigenverantwortung in Bezug auf die eigene Existenz verlangen! Zurzeit erleben wir ja, dass Frau Sommaruga die angebliche Lohndiskriminierung mit einem neuen Gesetz bekämpfen will. Und das läuft ab, wie oben beschrieben: Bundesamt für Justiz, Bundesrat, Parlament. In den Medien gibt es laute Proteste - aber sie werden einfach ignoriert und am Schluss haben wir die Lohnpolizei! 3. Und ich meine: Auch hier liegt es vor allem an den Frauen. Sie sollten sich bei Frau Sommaruga melden resp. in der Öffentlichkeit hinstehen und sagen: Wir sind clever genug. Wir schaffen es beim Arbeitgeber (mit unserer Rhetorik, mit unserem Charme, etc.), damit wir den Lohn erhalten, den wir aufgrund unserer Fachkenntnisse, unserer Erfahrung und unserer Leistung (oftmals hat frau aber viele sonstige Rollen und ist sogar froh darum, wenn andere da sind, die bereit sind, Überzeit zu leisten, etc.) zu gut haben. Wenn die Frauen diese Bestätigung nicht abgeben und einfach schweigen, knicken Frau Sommaruga und das Parlament einmal mehr ein. Da nützen Proteste der Wirtschaft und der Männer wenig und behauptet, man müsse hier eine Ungerechtigkeit beseitigen und genau deshalb könne man die Kritik nicht wirklich berücksichtigen.
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