Die Generation Z: eine Herausforderung für die Berufsbildung

Ohne Nachwuchs keine Swissness! Dieser Slogan ist für viele Berufsbranchen zur harten Realität geworden. Immer mehr Ausbildungsbetriebe suchen vergeblich nach Lehrlingen. Betriebe setzen deshalb zunehmend auch auf finanzielle oder materielle Anreize – Gratis-Führerschein, Smartphones oder Fitnessabos sind keine Seltenheit mehr. Solche Goodies sind jedoch kein gutes Mittel, um die geeignetsten Auszubildenden zu finden. Weil sie so nur materiell, nicht aber ideell an den Betrieb gebunden werden, haben sie ein grösseres Risiko, die Lehre abzubrechen. Ein Grundproblem der Diskussion ist aber der eher flüchtige Blick auf die «Psychologie» der Klientel, die jetzt in die Ausbildung kommt oder bereits ist: die «Generation Z». Diese jungen Leute sind nach der Jahrtausendwende geboren, weshalb sie «Post-Millennials» - oder eben «Generation Z» genannt werden.

Das Berufsimage ist wichtiger als die Tätigkeit

Das Buhlen der Betriebe droht immer mehr zu einem ungleichen Kampf zu werden. Für Berufe mit einem schlechten Image (z.B. etwa Elektroinstallateure oder Köche etc.) dürfte es in Zukunft besonders hart sein, weil das Berufsprestige fast wichtiger geworden ist als die Tätigkeit an sich. Auch bei den 7‘500 offenen Lehrstellen im August 2018 handelte es sich mehrheitlich nicht um diejenigen Ausbildungsplätze, die sich Jugendliche wünschen. Von ihrem Elternhaus sind sie sich gewohnt, mit ihren Bedürfnissen im Mittelpunkt zu stehen und ihre Wünsche erfüllt zu bekommen. Deshalb geben sie die Suche nach der Traumlehrstelle nicht einfach so auf, nur weil ein anderer, für sie weniger attraktiver Ausbildungsplatz zur Verfügung stehen würde. Berufswahl heisst ja auch Suche nach der eigenen Identität. Und diese Suche ist immer mit Anerkennung beim sozialen Umfeld verbunden. Deshalb geht es bei der Lehrstellensuche ebenso darum, was andere über einen Beruf denken. Der Beruf wird zum Filter, durch den eine Person wahrgenommen und taxiert wird. Für die Generation Z ist dies besonders wichtig.

Das IPhone als Körperteil und die Mama als wichtigstes Vorbild

Die Zetler sind Digital Natives, die mit Computer und Smartphone grossgeworden sind und dieses zum "Teil ihres Körpers" geworden ist - wie Klaus Hurrelmann schreibt*. Wie sie mit digitalen Geräten und Angeboten umgehen und die mobile Kommunikation gestalten, zeugt von Kreativität, Intuition und Selbstsicherheit. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit, eine geringe Ausdauer, mangelnde Zuverlässigkeit und eine flüchtige Kontaktfähigkeit sowie Schwierigkeiten im Umgang mit Kritik (auch Sekundärtugenden oder im Lehrplan 21 überfachliche Kompetenzen genannt). Viele Jugendliche der Generation Z wissen kaum mehr, wie man sich in realen sozialen Situationen angemessen verhalten oder Höflichkeitsregeln einhalten soll, wenn keine virtuellen Umgangsformen zur Verfügung stehen.

Es wäre aber zu einfach, die Problematik lediglich bei den Persönlichkeitsmerkmalen der Generation Z zu verorten. Eine entwicklungsförderliche soziale Umwelt kann vieles korrigierend auffangen, doch ist eine solche für viele Zetler nicht mehr selbstverständlich – obwohl die Mehrheit in vollständigen Familien mit Mutter und Vater aufwächst. Ein Hauptgrund ist die empirisch vielfach belegte Tatsache, dass Eltern ihre Söhne und Töchter Tag und Nacht kontrollieren und behüten und in ständiger Sorge sind, es könnte ihnen etwas passieren**. Erstaunlicherweise akzeptieren nicht nur Kinder bis ins Erwachsenenalter diese Elternrolle ohne dagegen zu rebellieren.

Mama und Papa sind die wichtigsten Wegbegleiter ihres Nachwuchses geworden. Dabei ist es vor allem die Mutter – und mit einigem Abstand der Vater – welche die bedeutendsten Vorbilder für ihre Kinder sind, und zwar auch dann noch, wenn sie schon lange in der Berufslehre oder im Berufsleben stehen***. Doch mit dieser Überfürsorglichkeit verunmöglichen viele Eltern, dass der Nachwuchs Belastungen und Rückschläge in Schule, Ausbildung und Beruf ertragen lernt und Frustrationstoleranz entwickeln kann.

Die Mama und der soziale Nachbar

Diese Situation hat sowohl positive als auch problematische Folgen, wobei letztere überwiegen. Positiv ist, dass junge Menschen heute von den Eltern gestützt und abgesichert werden und die meisten in angstfreien Beziehungen leben können. Negativ fällt jedoch auf, dass ein nicht kleiner Teil der Jugendlichen unselbstständig, unsicher und entscheidungsschwach ist.

Solche Merkmale haben zusammen mit marginal ausgeprägten überfachlichen Kompetenzen auch negative Auswirkungen auf die Besetzung von Lehrstellen. Weil für Eltern, insbesondere für Mütter, das Urteil des «sozialen Nachbarn» so wichtig ist (d.h. wie Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen und Verwandte über die in Frage kommenden Berufe denken) entwickeln viele Eltern bereits in der Primarschule gezielte Vorstellungen, welche Berufe für den Sohn oder die Tochter überhaupt in Frage kommen dürfen. Und zwar unbesehen davon, welche Neigungen und Interessen er oder sie hat. Unattraktiv erscheinende Berufe werden dann gar nicht in den Blick genommen, weil eine solche Wahl mit mangelnder Anerkennung durch die Umgebung verbunden wäre. Das Bedürfnis nach Anerkennung entfaltet eine derart starke Kraft, dass die Berufswahl nicht mehr ein Prozess ist, sondern die Umsetzung der Vorstellungen von Müttern und Vätern.

Entscheidend sind zudem die Merkmale, die Eltern mit einem Beruf verbinden. Attraktiv sind vor allem solche Berufe, die mit Eigenschaften wie intelligent, gebildet und finanzkräftig verbunden werden. Andere Merkmale wie schmutzige Hände oder harte körperliche Arbeit im Freien fördern das Prestige nicht und damit auch nicht das Interesse, einen solchen Beruf für den eigenen Nachwuchs in Erwägung zu ziehen.

Generation Z: eine schwierige Klientel mit Potenzial

Vereinfacht formuliert gilt für die Generation Z: Nichts mehr läuft ohne die Eltern. Dies trifft nicht nur für die Lehrstellensuche zu, sondern ebenso für den Einstieg in die Berufstätigkeit und sogar für die Teilnahme an den Berufsmeisterschaften SwissSkills****. Zwar ist das Engagement der Eltern ein grundsätzlich wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Berufslehre, doch hat der aktuell dominante überbehütende Erziehungsstil dazu geführt, dass Jugendliche zu Hause wie junge Könige gefeiert, unterstützt und gegen jegliche Aussenkritik verteidigt werden. Die Generation Z gilt deshalb für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner zu Recht als schwierige Klientel.

Not tut eine Investition in die Entwicklung und Optimierung überfachlicher Kompetenzen. Doch verständlicherweise scheuen nicht wenige Betriebe den Aufwand, um solche Defizite auszugleichen – die notabene eigentlich schon in der Volksschule angegangen werden sollten. Aber überfachliche Kompetenzen sind das Rückgrat jedes Ausbildungs- und Berufserfolgs. Deshalb geht es darum, alles tun, um die Stärken der Generation Z zu nutzen und nicht in einen Kulturpessimismus zu fallen, wie dies aktuell so oft der Fall ist. Die Zetler haben viele Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es zu nutzen gilt. Weil sie aber unsicher und entscheidungsschwach sind und ihre Sekundärtugenden oft zu wünschen übriglassen, brauchen sie in der Berufslehre strukturierte Räume, mit genau festgelegten Normen und Regeln sowie eine ausgestreckte Hand der Berufsbildnerin/des Berufsbildners, um ihnen zu helfen, Selbstständigkeit, Ausdauer und Durchhaltevermögen zu entwickeln.

Und vor allerm geht es auch um eine Strategie, welche früh, systematisch und umfassend Eltern ins Boot holt und ihnen aufzeigt, weshalb überfachlichen Kompetenzen das A und O des Berufserfolges sind.

 

Weiterführende Literatur

*Hurrelmann, K. (2018). Nicht ohne meine Eltern. Gastbeitrag, 21.11.: https://www.zeit.de/2018/48/genereration-z-berufsleben-karriere-gesellschaft-zukunft

**Stamm, M. (2017). Lasst die Kinder los. Warum entspannte Erziehung lebenstüchtig macht. München: Piper.

***Siehe das Dossier Nur (k)eine Berufslehre! Eltern als Rekrutierungspool. Dossier 14/4. www.margritstamm.ch; oder die Shell Jugendstudie 2015: https://www.shell.de/ueber-uns/die-shell-jugendstudie.html

****Stamm, M. (2017). Die Top 200 des beruflichen Nachwuchses. Was hinter den Medaillengewinnern an Berufsmeisterschaften steckt. Dossier 17/1. www.margritstamm.ch

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