MINT-Berufe und Frauen: Frühes Selbstvertrauen fördern!

Wir alle kennen das Vorurteil, dass Mädchen einfach schlechter in Mathematik seien und dies einer biologischen Tatsache entspreche. Und es ist auch eine oft gestellte Journalistenfrage, ob das männliche Geschlecht deshalb klüger als das weibliche Geschlecht sei. Schliesslich sind Frauen an Universitäten und Fachhochschulen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) deutlich unterrepräsentiert. Wenn man die Gründe nicht in der Biologie sucht, dann am ehesten in den gesellschaftlichen Stereotypen und in den Vorurteilen von Lehrkräften, Eltern und Berufsbildnern. Eine neue und repräsentative deutsche Studie* bringt nun ein bisher unbeachtetes Kriterium in die Diskussion: Knaben schreiben sich bereits in der 5. Klasse der Primarschule höhere Kompetenzen in Mathematik zu und zwar in einem Mass, das überhaupt nicht den Schulnoten entspricht. Bei den Mädchen ist es deutlich anders. Vielleicht liegt in diesem Sachverhalt eine Möglichkeit, die MINT-Förderung anders und vor allem neu auszurichten: dass Mädchen bereits in der Primarschule in ihrem Selbstvertrauen in die mathematischen Fähigkeiten bestärkt werden, von Lehrkräften und Eltern.

Knaben sind in Mathe besser

Die PISA-Ergebnisse weisen einen Vorsprung der Mädchen in der Lesekompetenz in vielen der einbezogenen Länder nach, während in Mathematik markante länderspezifische Geschlechtsunterschiede festzustellen sind. So sind die Differenzen zu Gunsten des männlichen Geschlechts in einigen Ländern (beispielsweise Korea, Österreich oder Brasilien) besonders gross, während es anderen Ländern wie etwa Irland, Japan oder Grossbritannien gelingt, bei der Lesekompetenz der Knaben sowohl höhere durchschnittliche Punktwerte zu erreichen als auch die geschlechtsspezifischen Unterschiede in Mathematik in Grenzen zu halten oder gar auszugleichen. Damit widerlegen auch die PISA-Studien, dass die im Schnitt schlechteren Mathematikleistungen des weiblichen im Vergleich zum männlichen Geschlecht biologisch erklärbar seien.

Theoretische Erklärungen der männlichen Vorteile

Auch wenn PISA zeigt, dass die Unterschiede kaum lediglich biologischen Ursprungs sein können, stellt sich die Frage, wie man die Geschlechtsunterschiede erklären kann. Hierzu liegen verschiedene Erklärungsversuche vor. Der erste ist die so genannte sich selbst erfüllende Prophezeiung. Gemeint ist damit, dass Frauen vermehrt befürchten, benachteiligt zu sein und deshalb in Tests schlechter abschneiden. Verschiedene Laborexperimente wiesen nach, dass wenn man Frauen einredete, das weibliche Geschlecht würde in mathematischen Tests leider grundsätzlich schlechter abschneiden, dies in den anschliessenden Tests auch tatsächlich zutraf. Die Autoren solcher Experimente** sind der Ansicht, dass das weibliche Gehirn offenbar anders tickt – der Mythos der unbegabten Mädchen und Frauen ist aktueller denn je. Diese Annahme wird heute jedoch in Zweifel gezogen.

Lange Zeit setzte man deshalb auf den zweiten Erklärungsversuch, auf die Erwartungen und Vorurteile von Eltern und Lehrkräften. Aufgrund verschiedener Studien ist anzunehmen, dass sie Knaben womöglich stärker in MINT-Fächern ermuntern und damit den Mädchen signalisieren, dass diese Ausrichtung für sie eher ungeeignet ist***.

Selbstunterschätzung: der vielversprechende Erklärungsversuch

Die neue Studie des DIW unter der Leitung von Felix Weinhardt verfolgt eine andere Perspektive. Der Autor ist der Frage nachgegangen, inwiefern eine der Ursachen schon im Grundschulalter zu suchen ist. Auf Basis eines für Deutschland repräsentativen Datensatzes des Nationalen Bildungspanels wurde untersucht, wie Jungen und Mädchen ihre Fähigkeiten in Mathematik – und im Vergleich dazu im Fach Deutsch – einschätzen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Schüler bereits in der fünften Klasse höhere Kompetenzen in Mathematik zuschreiben als Schülerinnen – in einem Maße, das durch bessere Schulnoten nicht gedeckt ist. Die Unterschiede bestehen über die gesamte Schulzeit bis zur zwölften Klasse fort. Mit Blick auf den bereits heute vielfach beklagten Fachkräftemangel im MINT-Bereich ist das insofern bedeutend, als dass Frauen diese Fächer möglicherweise auch deshalb deutlich seltener studieren als Männer, weil sie ihre mathematischen Fähigkeiten in der frühen Schulzeit zu pessimistisch eingeschätzt und deshalb Präferenzen für andere Fächer, meist Sprachen, entwickelt haben. Um dem entgegenzuwirken, sollten Mädchen bereits in der Grundschule in ihrem Selbstvertrauen mit Blick auf mathematische Fähigkeiten bestärkt werden, beispielsweise durch Lehrkräfte und Eltern.

Weiterführende Literatur

*Weinhardt, F. (2017). Ursache für Frauenmangel in MINT-Berufen? Mädchen unterschätzen schon in der fünften Klasse ihre Fähigkeiten in Mathematik. Berlin: DIW.DIW Wochenbericht Nr. 45.2017. http://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.568725.de

**Dar-Nimrod, I. & Heine, S. (2016). Essentially biased: Why people are fatalistic about genes. In J. Olson (Ed.), Advances in Experimental Social Psychology,Vol. 55. 

***Stamm, M. (2014). Stamm, M. (2014). Nur (k)eine Berufslehre. Eltern als Rekrutierungspool. Dossier 14/4. Bern: Forschungsinstitut Swiss Education. http://www.margritstamm.ch/dokumente/dossiers/252-nur-k-eine-berufslehre/file.html

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