Neue Väter brauchen neue Mütter! Das eine ist ohne das andere nicht zu haben

Zu meinem neuen Buch, das am 1. August 2018 unter dem gleichnamigen Titel erschienen ist

 

Das seit Jahren kaum mehr Geglaubte ist eingetreten: In allen deutschsprachigen Staaten werden wieder mehr Kinder geboren. In der Schweiz waren es im Jahr 2011 gut 80‘000 Geburten, in Deutschland 678‘000 und in Österreich 78‘000. 2016 waren es in der Schweiz fast 87‘000 Geburten, in Deutschland 738‘000 und in Österreich 84‘000. Welches Geheimnis steckt hinter diesem Kindersegen? Ist es ein Verdienst der Familienpolitik, weil heute aufgrund des Elterngeldes (in Deutschland und Österreich) und des ausgebauten familienergänzenden Betreuungssystems nahezu 80 Prozent der Frauen, die ihr erstes Kind bekommen, weiterhin berufstätig bleiben und genauso wie Männer Karriere machen können? Oder ist es vielleicht das neue Ideal der intensiven Mutter- und Vaterschaft, welches uns Promi-Paare scheinbar modellhaft vorleben und auch eine Schwangerschaft attraktiv erscheinen lässt?

Mit Sicherheit sind es nicht lediglich familienpolitische Ziele, die für den Babyboom sorgen. Der wichtigste Faktor für die steigende Geburtenrate dürfte das neue Mutterideal sein, in den USA »the new momism« genannt. Es besagt, dass sich eine Frau nur dann als ganz fühlen kann, wenn sie Mutter wird. Diesem Ideal streben fast 85 Prozent der jungen Frauen nach, und auch immer mehr Männer lassen sich davon begeistern. Familie liegt bei 77 Prozent im Trend, und 47 Prozent finden sie sogar wichtiger als die Karriere.

Das neue Bewusstsein der Männer

Noch vor zehn Jahren getrauten sich Männer kaum, partiell aus ihrer Leitungsfunktion auszusteigen, um zu Hause den Nachwuchs zu betreuen. Was hätten denn die Chefs von ihnen gedacht? Heute hat sich das Klima zumindest teilweise gewandelt. Väter können nun manchmal – je nach Arbeitgeber sogar selbstverständlich – das Natürlichste tun, nämlich mehr für ihre Kinder da sein. Dazu beigetragen hat – allerdings nicht in der Schweiz – auch das Elterngeld mit den Vätermonaten. Es hat das Bewusstsein und die symbolische Bedeutung dafür geschaffen, dass Männer am Aufwachsen ihrer Kinder beteiligt sein wollen, sollen und auch können.

Väter werden immer häufiger von Zaungästen zu Beteiligten. Dieser Kulturwandel lässt sich vielerorts beobachten: Männer bereiten sich zusammen mit der Partnerin auf die Geburt des Kindes in Schwangerschaftskursen vor und sind bei den Kontrollen und auch im Gebärsaal dabei. Sie gehen am Montagvormittag mit dem Kind in ein Café, später zum Va-Ki-Turnen, drehen ihre Runden auf den Spielplätzen – nur in den Herren-WCs hat es noch viel zu selten Wickeltische. Auch in Werbung und Medien sind Männer sichtbarer Teil des Väter-Markts geworden. Neben Interessenverbänden, Internetportalen sowie Männer- und Vätergruppen besteht dieser Markt vor allem aus populären Ratgebern und Zeitschriften, die sich nahezu exklusiv an Väter richten.

Doch neue Formen des Vaterseins sind nicht etwa deshalb entstanden, weil Männer erkannt haben, dass ihre Bedeutung für die Erziehung des Kindes gross ist. Vielmehr sind sie eine Reaktion auf die Frauenbewegung und ihre Forderung nach Gleichberechtigung sowie auf die veränderten Erwartungshaltungen der Wirtschaft, die angesichts des Fachkräftemangels zunehmend auf qualifizierte weibliche Arbeitskräfte setzt. Mütterliche Berufstätigkeit ist faktisch zur Norm geworden. Frauen müssen nicht mehr begründen, warum sie einen Beruf ausüben, sondern eher, weshalb sie »nur« Hausfrau und Mutter sind.

Was die Diskussion über Vaterschaft ausblendet

In der aktuellen Diskussion werden wichtige Aspekte von Vaterschaft fast vollständig ausgeblendet. Neue theoretische Vaterschaftskonzepte führen uns solche Unterlassungen deutlich vor Augen. Vaterschaft umfasst nicht nur die zeitliche Verfügbarkeit, sondern auch viele andere, nicht direkt sichtbare Beiträge. Gemäss diesen neuen Konzepten können sich Väter in der familiären Fürsorgearbeit engagieren, ohne ständig anwesend zu sein.

Die Vaterschaftsdebatte blendet jedoch auch wichtige Rahmenbedingungen aus, so etwa die Einflüsse der Arbeitswelt (z.B. warum vor allem Väter im öffentlichen Dienst oder in bestimmten geographischen Regionen in Elternzeit gehen), die Einflüsse des persönlichen Umfelds (wie sehr Freunde, Nachbarn und Verwandte die Einstellungen und Verhaltensweisen prägen) oder wie Paare das von ihnen gewählte Familienmodell aushandeln (weshalb sie sich für eine bestimmte Rollenaufteilung entscheiden).

Einerseits verharren unsere familienpolitischen Systeme immer noch in der Situation wie sie vor fünfzig Jahren war, und eine Anpassung an die neue Realität der Lebensentwürfe ist bisher ausgeblieben.Andererseits wird zu viel gejammert und geklagt, am meisten über die familienfeindliche Wirtschaft oder über den Staat, der zu wenig Hilfe bereitstellt. Als ob in den vergangenen Jahren nichts passiert wäre! Es ist somit auch an der Zeit, dass Männer und Frauen den Fokus der Vereinbarkeitsfrage etwas verrücken und sich fragen, inwiefern sie selbst ein Problem hierfür sind.

Neue Väter nicht ohne neue Partnerinnen! Weshalb das eine ohne das andere nicht zu haben ist

Um die gleichberechtigte Teilhabe beider Geschlechter im Arbeits- und Familienleben verwirklichen zu können, brauchen wir ein neues Emanzipationsbündnis zwischen Frauen und Männern, zwischen Müttern und Vätern. Männer sollten sich der Veränderung von Männlichkeit stellen, alte Machtansprüche aufgeben und mehr Engagement in der Familie auch tatsächlich verwirklichen wollen. Frauen wiederum sind zu ermutigen, dass sie sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht nur erstreiten müssen, sondern auch auf die eigenen Bedürfnisse hören dürfen. Gleichzeitig sollten sie einen Beitrag dazu leisten, dass sich ihre Partner nicht nur ins Familienleben einpassen, sondern sich auch eigenständig als Väter entwickeln können. Geschlechtergerechtigkeit heisst, dass Männer und Frauen nicht Kopien des anderen Geschlechts werden, sondern in gegenseitiger Bezogenheit eine unabhängige Identität aufbauen.

Aber dies kann nur geleistet werden, wenn wir unseren Blick auf die Aufgaben objektivieren, welche Väter in und neben der Familie für diese erbringen und auch nach der Rolle fragen, welche ihre Partnerinnen dabei spielen. Beide Geschlechter sind von kulturellen und gesellschaftlichen Widersprüchen betroffen, aus denen sie sich nur schwer befreien können. Deshalb müssen wir uns von den problematischen Seiten der gegenwärtigen Diskussion befreien, welche unsere Gleichstellungspolitik prägt und Männer andauernd schuldig spricht. Nur so können die einseitigen und mit zu grosser Selbstverständlichkeit postulierten Vorstellungen dessen gesprengt werden, was einen guten Vater oder eine gute Mutter ausmachen soll. Man muss somit etwas genauer hinschauen, um die damit verbundenen problematischen Folgen für die Männer selbst, ihre Partnerinnen und die Gesellschaft insgesamt zu erkennen.

Stamm, M. (2018). Neue Väter brauchen neue Mütter. Warum Familie nur gemeinsam gelingt. München: Piper.

Wunderkinder zwischen Mythos und Realität
Der Ärger mit dem Lärm spielender Kinder

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Kommentare 1

Gäste - Erika Butzmann am Sonntag, 15. Januar 2023 18:19

Hier kann nachgelesen werden, was zu den vielen richtigen Dingen, die Frau Stamm berichtet noch fehlt, um die Situation wirklich zu durchdringen:
https://www.familienhandbuch.de/familie-leben/familienformen/muetter-
vaeter/NeueVaeterinderheutigenGesellschaft.php

Hier kann nachgelesen werden, was zu den vielen richtigen Dingen, die Frau Stamm berichtet noch fehlt, um die Situation wirklich zu durchdringen: https://www.familienhandbuch.de/familie-leben/familienformen/muetter- vaeter/NeueVaeterinderheutigenGesellschaft.php
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