Weshalb manche Paare nicht fortschrittlicher leben

Eigentlich müssten unsere Lebensbedingungen dazu führen, dass Männer und Frauen die traditionellen Rollenverteilungen ihrer Eltern immer mehr hinterfragen und neue Ideen entwickeln, wie sie Partnerschaft leben wollen. Dies dürfte insbesondere für junge Paare gelten, da ja gerade sie zumindest teilweise bereits in diese Richtung sozialisiert worden sind. Dem ist nur teilweise so. 

Die Geburt des ersten Kindes als Weichenstellung

Mit der Geburt des ersten Kindes setzt bei manchen Paaren ein Traditionalisierungsprozess ein. Erstaunlicherweise gilt dies nicht selten auch dann, wenn Frauen ähnliche Einkommenschancen wie ihre Partner haben. Die Erkenntnisse hierzu sind ernüchternd und verweisen darauf, dass die Politik die neuen Ressourcenverhältnisse zwischen den Partnern – er arbeitet weniger, sie arbeitet mehr – zu optimistisch eingeschätzt hat. Besonders eindrucksvoll ist, dass mit zunehmender Dauer der Partnerschaft die Bereitschaft von Männern abnimmt, sich verstärkt in die Haus- und Familienarbeit einzubringen. Das bedeutet, dass selbst bei den zunächst partnerschaftlich organisierten Paaren nicht wenige in Richtung Traditionalisierung kippen und zwar unabhängig vom jeweiligen Bildungsstand.

Die theoretischen Versuche, das Phänomen zu erklären

Wie kann man dieses Phänomen theoretisch erklären? Dazu stehen Ansätze zu Rollenerwartungen, zur Haushaltsökonomie, zu den Machtverhältnissen und zur intensiven Mutterschaft zur Verfügung.

Rollenerwartungen: Dieser Ansatz geht davon aus, dass in der Gesellschaft geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen vorherrschen, die jedes Kind im Verlaufe seiner Sozialisation und Erziehung verinnerlicht und sich dann mehr oder weniger entsprechend verhält. Auch als erwachsene Person will man seine Rollen einhalten, um so die eigene Identität zu finden und zu sichern. Traditionell haben Frauen diese in Hausarbeit und Kinderbetreuung, Männer in der Ernährerfunktion gefunden. Weil sich in den letzten Jahren diese gesellschaftlichen Zuschreibungsmuster trotz Emanzipations- und Gleichstellungsbemühungen nur schleppend geändert haben, sind die Prioritäten der Partner auch nur unwesentlich anders geworden. Doch gibt es immer mehr Frauen und Männer, die sich mit den dominierenden Geschlechtsrollennormen kritisch auseinandersetzen und diese dann in ihrer Familienpraxis innovativ verändern. Die Einstellung ist deshalb die wichtigste Komponente, weshalb sich Paare so und nicht anders verhalten. Gegen dieses Erklärungsmuster spricht jedoch die Tatsache, dass viele Paare sich trotz moderner Einstellungen in der Vereinbarkeitsfrage konservativ verhalten.

Ökonomische Arbeitsteilung: Dieses Erklärungsmodell versteht Haushalt und Familie als Kleinunternehmen, dessen Ziel es ist, das Wohlbefinden der Mitglieder zu fördern. Besonders wesentlich sind die finanziellen Mittel. Hat der Mann ein höheres Salär und die Frau geringere Verdienstmöglichkeiten, wird eine relativ traditionelle Rollenaufteilung vorgenommen. Diese ermöglicht, dass Eltern für die Kinder und sich selbst finanziell mehr leisten können, während eine egalitäre Aufteilung oft mit finanziellen Einschränkungen verbunden ist. Dies können oder wollen viele Paare nicht auf sich nehmen. Sie arbeiten, weil sie das Geld brauchen, nicht aus Luxus. Ein Teil der Männer kann die Familie noch alleine durchbringen, aber ein größerer Teil kaum. Im Ansatz für das Erklärungsmodell der ökonomischen Arbeitsteilung spricht die Tatsache, dass die Mehrheit der relativ gut verdienenden Paare deutlich häufiger das Teilzeit-Teilzeit-Modell wählen und ein deutlich geringeres Traditionalisierungsrisiko haben – aber nur dann, wenn sie dieses Modell früh schon wählen. Gegen das Modell spricht der relativ große Anteil an gut verdienenden Paaren, welche weiterhin das Vollzeit-Teilzeit-Modell wählen.

Machtverhältnisse: Nicht nur die Finanzen und die Rollenvorstellungen sind ausschlaggebend dafür, wie sich Paare organisieren. Auch die Machtverhältnisse in der Partnerschaft sind wesentlich. Dieser theoretische Ansatz geht davon aus, dass in einer Partnerschaft jeder der beiden Partner versucht, seinen Nutzen (das, was man gerne tut) zu maximieren und seine Kosten (das, was man nicht gerne tut) zu minimieren. Was jedoch die beiden Partner als Nutzen und was als Kosten definieren, ist sehr unterschiedlich. Frauen beispielsweise nehmen für sich eher die Pflege des Kindes oder bestimmte Haushaltsarbeiten in Anspruch und delegieren Ungeliebtes (z. B. Steuererklärung ausfüllen) an den Partner. Für Männer gilt anderes. Prioritär ist für sie oft der direkte Umgang und das Spielen mit dem Kind, sekundär jedoch Putzen oder Wäsche bügeln. Aber auch gemäß diesem Erklärungsansatz ist derjenige Partner mächtiger, der ein höheres Salär bezieht beziehungsweise eine bessere Perspektive auf dem Arbeitsmarkt hat. Da Männer häufig diese Personen sind, drücken sie sich vor den am wenigsten attraktiven Aufgaben und überlassen diese eher den Partnerinnen. Die große Frage ist aber, weshalb dies die Frauen überhaupt zulassen.

Das Ideal der guten Mutter: Dass gerade auch diejenigen Frauen, welche die Vision einer gleichgestellten Partnerschaft verfolgen, oft die gesamte familieninterne Verantwortung übernehmen, hat viel mit den vorherrschenden gesellschaftlichen Normen über berufstätige Mütter zu tun. Diese Normen orientieren sich an der Ideologie der guten Mutter, die gegenwärtig eine erstaunliche Renaissance erlebt. Eine Folge davon ist, dass viele Frauen die Gesamtverantwortung für das Haushalts- und Familienmanagement zu Beginn der Mutterschaft teils fast euphorisch übernehmen und sich entscheiden, den Arbeitsplatz zu quittieren oder weniger zu arbeiten. Sie denken, es sei doch nur gerecht, wenn sie kürzer treten, weil sie ja schließlich die Mütter seien und das Mutterideal in sich tragen würden. 70 Prozent der Paare antworteten auf die Frage nach den Kriterien für die Aufteilung von Job und Haushalt, dass der Wunsch der Mutter, mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen, eine große Rolle gespielt habe.[3] Nur bei 36 Prozent war der Wunsch der Mütter wichtig, ihren Beruf mit der Familie vereinbaren zu können. Diese Daten verweisen zwar darauf, wie sehr die egalitäre Arbeitsteilung in Beruf und Haushalt nach der Familiengründung in den Hintergrund gerät, vielleicht aber nur vorübergehend.

Zeitgeist, Theorie und Praxis

Problematisch ist, dass in keinem der theoretischen Erklärungsversuche die Rolle der Rahmenbedingungen und des Zeitgeistes genügend zur Sprache kommen. Zwar ist es eine Tatsache, dass die Mehrheit der Männer ein höheres Einkommen hat als die Frauen, doch die ebenso bedeutsamen Rahmenbedingungen aussen vor bleiben (z. B. politische Aspekte wie die systematische staatliche Förderung der finanziellen Ungleichheit durch Einkommenssteuerrecht und Sozialversicherungsrecht oder die relativ konservative Familienpolitik). Solche Rahmenbedingungen dürften eine besonders wichtige Rolle bei der Wahl des Erwerbsmodells der Paare spielen. Es ist keinesfalls nur die Macht der Tradition, der Überzeugung oder der Natur, welche den Wandel bremst. Dies gilt auch dann, wenn man ihn wirklich will. Für jede Familie gibt es auch eine Macht der Finanzen.

Somit braucht es auch einen veränderten Blick auf Männer und ihre Partnerinnen, auf ihre Leistungen für und in der Familie. Die Diskussion um die Vereinbarkeitsfrage konzentriert sich in der Familienpolitik zu stark auf die Vereinbarkeitsproblematik der Frauen und zu wenig um die damit verbundenen Herausforderungen der Männer.

Literatur

Weiterführende Hinweise finden sich in: Stamm, M. (2018). Neue Väter brauchen neue Mütter. Weshalb Familie nur gemeinsam gelingt. München: Piper.

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