Migranten und Medien

Die aktuelle Diskussion zur Zuwanderung in der Schweiz macht nicht nur deutlich, wie hoch die Wellen schlagen, sondern auch, wie das Thema «Migration und (mangelnde) Integration» diskutiert wird. Es ist eine Debatte entstanden, die Integration vorwiegend als harte Zwangsveranstaltung begreift und mit Sanktionsdrohungen durchgesetzt werden soll.

Das ist eine problematische Entwicklung, aus mindestens zwei Gründen: Erstens, weil damit eine Projektion von Feindbildern entsteht und zu einem Paradigma zu werden droht, das sich in den Köpfen festsetzt und all die vielen Bemühungen um eine innovative und partnerschaftliche Schweizer Migrationspolitik gefährdet. Verstärkt wird dies zweitens durch den Umstand, dass auch der Blick auf bereits in der Schweiz lebende Migranten ein fast durchgängig negativer ist. Sie und ihre Familien werden in der Öffentlichkeit vor allem als Träger von Defiziten stigmatisiert. Kriminalität, Fundamentalismus, Zwangsehen, Sprachprobleme oder mangelnde schulische Unterstützung sind nur ein paar Stichworte einer langen Liste ihres Ungenügens, die unser Bild des kostenverursachenden Ausländers nähren und zur Kritik an der gescheiterten Integration und zur Forderung nach einer Beschränkung der Zuwanderung beitragen.

Weshalb spricht man in der Schweiz eigentlich immer von ‚den Migranten‘, den ‚Zuwanderern‘? Wo bleibt – mit Ausnahme auf die hoch qualifizierten Fachkräfte rsp. die Expats – der Blick auf die Ressourcen von Migranten, auf ihre Potenziale? Wo bleiben selbstkritische Fragen, inwiefern wir in unseren Schulen, Ausbildungsinstitutionen und Betrieben Migrantenkinder und -jugendliche so fördern und ausbilden, dass sie ihre Potenziale tatsächlich entfalten können? Ich bin überzeugt: Sie bilden die Bevölkerungsgruppe mit den wohl am häufigsten nicht entdeckten Begabungsreserven. Unsere Längsschnittstudie MIRAGE («Migranten als gesellschaftliche Aufsteiger») liefert die Hintergründe hierzu.

Medien spielen eine entscheidende Rolle, ob und wie Migranten zu ‚Fremden‘ gemacht werden und welches (Zerr-)Bild der ‚multikulturellen Schweiz‘ vermittelt wird. Medien wählen aus, akzentuieren und vernachlässigen. Selbstverständlich gibt es – ebenso wenig wie die Migranten – die Medien. Weder inhaltlich noch stilistisch sind sie miteinander vergleichbar. Das gilt für Tageszeitungen, für Boulevardmagazine oder Nachrichtenmagazine, TV und Radio. Dies beschreiben Christoph Butterwegge und Gudrun Hentgens in ihrem lesenswerten Buch «Massenmedien, Migration und Integration». Aber auch MedienmacherInnen selbst vertreten voneinander abweichende migrationspolitische Überzeugungen. Dies wirkt sich mit Sicherheit auf ihre Berichterstattung aus.

Meine Wahrnehmung ist die, dass die aktuelle Berichterstattung zur Zuwanderungs- und Migrationsfrage in der Schweiz den Trend zur Polarisierung fördert und forciert. Positiv dargestellt wird vor allem die Zuwanderungselite, während ‚normale‘ und ‚sozial benachteiligte‘ Migranten in erster Linie die Hauptdarsteller sind, wenn es um schulische Problemdiskussionen geht. Man verfolge nur einmal, wie über Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund berichtet wird, die Bildungslücken aufweisen und deren Familien selbstverständlich einen Grossteil der Schuld am Versagen ihrer Kinder zugeschoben wird. Welche Rolle unsere Integrationspolitik dabei spielt, wird kaum je selbstkritisch reflektiert.

Die modernen Medien haben eine gesellschaftliche Integrationsfunktion. Medienfachleute prägen unser migrationspolitisches Klima entscheidend. Meines Erachtens sollten sie ein umfassenderes Bild von Migranten zeichnen. Dazu gehört vor allem auch der positive Blick auf das, was diese können, leisten und für unsere Gesellschaft tun. Statt über Migranten sollten Medien viel häufiger mit Migranten sprechen. Sie sind in der Lage, ein genaueres Bild der «Ausländerwirklichkeit» bei uns zu zeichnen und das verbreitete Vorurteil, Migranten seien grösstenteils «Asoziale» oder «Wohlfahrtsmigranten» abzubauen. Wenn wir zudem bedenken, dass die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen heute ganz entscheidend über die Medien erfolgt, kann die verantwortliche Bedeutung der Medienberichterstattung nicht überschätzt werden. Welche Klischees, Feindbilder und Stereotype unserem Nachwuchs vorgesetzt werden oder eben nicht (mehr), entscheidet, ob und wie Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund überhaupt integrierter Teil unserer Gesellschaft werden können.

 

Quelle: Contrast – Weekblad over de mulitculturele samenleving, 28.02.2002, siehe auch Butterwegge & Hentgens, S. 254).

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